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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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westliche Kapitalanlage zu ermöglichen. Seit einigen Jahren steckte Thailand in einer tiefen Krise, die Börse und die Landeswährung waren auf dem Tiefstpunkt, die staatliche Verschuldungbetrug 7o % des Bruttosozialprodukts. »Sie stecken so tief in der Scheiße, daß man nicht mal mehr von Korruption sprechen kann... «, sagte Jean-Yves zu uns. » Ich habe ein paar Bestechungsgelder zahlen müssen, aber nur sehr wenig; nicht zu vergleichen mit dem, was vor fünf Jahren üblich war. «
        Am Vormittag des 31. Dezember flogen wir nach Krabi. Als ich aus dem Kleinbus stieg, lief ich Lionel in die Arme, der am
    Abend zuvor angekommen war. Er sei begeistert, sagte er zu mir, völlig begeistert; ich hatte Mühe, den Schwall seiner Dankesworte einzudämmen. Aber als ich vor meinem Bungalow stand, war auch ich von der Schönheit der Landschaft überwältigt. Der Strand war endlos, makellos, und der Sand so fein wie Pulver. Die Farbe des Ozeans ging nach wenigen Dutzend Metern von Azurblau in Türkis und von Türkis in Smaragdgrün über. Riesige, von dunkelgrünen Wäldern bewachsene Felseninseln erhoben sich bis zum Horizont aus dem Wasser, verloren sich im Licht und in der Entfernung und verliehen der Bucht eine unwirkliche, kosmische Weite.
         »Ist hier nicht Der Strand gedreht worden?« fragte mich Valérie.
         »Nein, ich glaube, das war in Koh Phi Phi, aber ich habe den Film nicht gesehen. «
        Valérie zufolge hatte ich nicht viel verpaßt, abgesehen von der Landschaft sei der Film völlig uninteressant. Ich erinnerte mich undeutlich an das Buch, das ein paar backpackers auf der Suche nach einer unbewohnten Insel zeigte; der einzige Hinweis, den sie besaßen, war eine Karte, die ein alter Weltenbummler für sie gezeichnet hatte, ehe er in einer elenden Absteige an der Khao Sen Road Selbstmord beging. Sie fuhren zunächst nach Koh Samui, was viel zu touristisch war; von dort aus fuhren sie auf eine Nachbarinsel, aber auch dort waren für ihren Geschmack noch zu viele Menschen. Schließlich bestachen sie einen Seemann, und so gelang es ihnen, auf ihrer Insel zu landen - die zu einem Naturschutzgebiet gehörte und daher eigentlich nicht betreten werden durfte. Und da begannen die Probleme. Die ersten Kapitel des Buches veranschaulichen wunderbar den Fluch des Touristen, der sich verzweifelt auf die Suche nach »nicht-touristischen« Orten begibt. Durch seine bloße Anwesenheit trägt er jedoch dazu bei, sie in Mißkredit zu bringen, und ist so gezwungen, immer fernere Ziele anzusteuern, wobei das Vorhaben im Zuge seiner Verwirklichung nach und
    nach zerstört wird. Diese hoffnungslose Situation, die dem des Mannes gleicht, der seinem Schatten zu entfliehen sucht, war in der Tourismusbranche gut bekannt, wie mir Valérie erläuterte: In der Terminologie der Kommunikationstheorie nannte man dieses Phänomen das Paradox des double bind.
        Die Urlauber, die den Eldorador Aphrodite Club in Krabi gewählt hatten, wirkten jedoch nicht so, als würden sie so schnell dem Paradox des double bind zum Opfer fallen; auch wenn der Strand sehr lang war, ließen sie sich alle etwa an der gleichen Stelle nieder. Soweit ich erkennen konnte, schienen sie mir alle der Kundschaft zu entsprechen, die wir erwartet hatten: viele Deutsche, und zwar eher leitende Angestellte oder freiberuflich Tätige. Valerie hatte die genauen Zahlen: 80 % Deutsche,
    10 % Italiener, 5 % Spanier und 5 % Franzosen. Überraschend war nur, wie viele Paare darunter waren. Sie wirkten wie libertäre Paare, man hätte sie durchaus am Cap d'Agde antreffen können. Die meisten Frauen hatten Brüste mit Silikoneinlagen, viele trugen ein goldenes Kettchen um die Hüfte oder um den Knöchel. Ich bemerkte auch, daß fast alle nackt badeten. All das flößte mir eher Vertrauen ein ; mit solchen Leuten hat man keine Probleme. Im Gegensatz zu einem Urlaubsziel, das im Ruf steht, Globetrotter anzuziehen, wird ein Ort, der für Partnertausch-Urlauber bestimmt ist, erst dann wirklich interessant, wenn die Besucherzahlen zunehmen, somit ist er seinem Wesen nach ein nicht-paradoxer Ort. In einer Welt, in der der größte Luxus darin besteht, die Möglichkeit zu haben, anderen Menschen aus dem Weg zu gehen, stellte die » Geselligkeit« der wohlhabenden deutschen Partnertausch-Touristen eine besonders subtile Form der Subversion dar, sagte ich zu Valérie, während sie ihren Büstenhalter und ihr Höschen auszog. Als auch ich mich entkleidete,

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