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scherte. Es handelte sich also um eine achtenswerte Motivation, um die gleiche, die die allgemeine Entwicklung der menschlichen Zivilisation erklärte. Die gesellschaftliche Entschädigung, die ihm dafür gewährt wurde, bestand in einem hohen Gehalt. In einem anderen System hätte sich das in einem Adelstitel oder in Privilegien ausdrücken können, wie jene, die Mitgliedern der nomenklatura gewährt wurden; ich hatte nicht den Eindruck, daß das irgend etwas geändert hätte. In Wirklichkeit arbeitete Jean-Yves, weil er Freude an der Arbeit hatte ; das war rätselhaft und zugleich völlig klar.
Am 15. Dezember, zwei Wochen vor der Einweihung, erhielt er einen besorgten Anruf von der TUI. Ein deutscher Tourist war zusammen mit einer jungen Thai, seiner Begleiterin, entführt worden; das war in Hat Yai vorgefallen, im äußersten Süden des Landes. Die einheimische Polizei hatte eine wirre Botschaft erhalten, die in ziemlich gebrochenem Englisch ver faßt war und keinerlei Forderungen enthielt - aber andeutete, daß die beiden jungen Leute hingerichtet werden würden, weil ihr Verhalten gegen das islamische Gesetz verstoße. Seit einigen Monaten hatte man tatsächlich das Auftreten islamistischer Bewegungen, die von Libyen unterstützt wurden, in der Grenzregion zu Malaysia beobachtet; aber es war das erste Mal, daß sie Menschen angriffen.
Am 18. Dezember wurden die nackten, verstümmelten Leichen der beiden jungen Leute aus einem Lieferwagen mitten auf den größten Platz der Stadt geworfen. Das Mädchen war gesteinigt worden, man hatte ihr mit brutaler Gewalt zugesetzt; die Haut war überall geplatzt, ihr Körper eine einzige kaum noch wiederzuerkennende Schwellung. Der Deutsche hatte eine durchgeschnittene Kehle und war kastriert worden, sein Glied und seine Hoden hatte man ihm in den Mund gestopft. Diesmal ging die Meldung durch die gesamte deutsche Presse, selbst in Frankreich wurde hier und dort kurz darüber berichtet. Die Zeitungen hatten beschlossen, die Fotos der Opfer nicht zu veröffentlichen, aber sie waren bald auf den üblichen Websites im Internet verfugbar. Jean-Yves telefonierte jeden Tag mit der TUI: Bisher war die Lage noch nicht bedrohlich, es hatte nur ganz wenige Absagen gegeben, die Leute hielten an ihren Urlaubsplänen fest. Der thailändische Premierminister hatte zahlreiche beruhigende Erklärungen abgegeben: Es handele sich ganz gewiß um eine vereinzelte Aktion, alle bekannten terroristischen Bewegungen hatten die Entführung und die Ermordung verurteilt.
Sobald wir in Bangkok ankamen, spürte ich jedoch eine gewisse Spannung, vor allem im Sukhumvit-Viertel, wo die meisten Touristen aus dem mittleren Osten untergebracht waren. Sie kamen vor allem aus der Türkei oder aus Ägypten, aber manchmal auch aus viel strengeren islamischen Ländern wie Saudi-Arabien oder Pakistan. Wenn sie durch die Stadt gingen, spürte ich, wie sich feindselige Blicke auf sie richteten. Am Eingang von mehreren Animierlokalen sah ich Schilder mit der Aufschrift: »NO MUSLIMS HERE«; der Inhaber einer Bar in Patpong hatte sogar eine ausführlichere Botschaft in Schönschrift aufgemalt: »We respect your Muslim faith: we don't want you to drink whisky and enjoy Thai girls.« Dabei konnten die Armen nichts dafür, es war sogar klar, daß sie im Fall eines Attentats als erste aufs Korn genommen würden. Bei meinem ersten Besuch in Thailand hatte ich mich darüber gewundert, so viele Touristen aus den arabischen Ländern dort anzutreffen; sie kamen im übrigen genau aus den gleichen Gründen wie die westlichen Touristen, nur mit dem Unterschied, daß sie sich mit noch größerer Begeisterung ins Laster zu stürzen schienen. Häufig traf man sie schon morgens um zehn in der Hotelbar mit einem Glas Whisky an; und sie waren die ersten, die abends die Massagesalons besuchten. Sie fühlten sich vermutlich schuldig, weil sie mit dem islamischen Gesetz gebrochen hatten, und waren im allgemeinen höflich und nett.
Der Lärm in Bangkok war unvermindert, und die Luftverschmutzung so stark, daß man Mühe hatte zu atmen; dennoch war mein Vergnügen, diese Stadt wiederzusehen, ungeschmälert. Jean-Yves hatte zwei, drei Verabredungen mit Bankdirektoren oder in einem Ministerium, ich verfolgte das nur aus der Ferne. Nach zwei Tagen teilte er uns mit, daß die Gespräche sehr erfolgreich verlaufen waren: Die einheimischen Behörden waren äußerst entgegenkommend und zu allem bereit, um die geringste
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