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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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wirklich menschlichen Züge, der noch zu erkennen war ; was das übrige anging, da wußte ich auch nicht so recht.

        Kurz nachdem wir wieder in den Bus gestiegen waren, ergriff Son das Wort. Wir fuhren jetzt zu der Unterkunft, in der wir die Nacht verbringen würden und die, wie sie ausdrücklich hervorhob, außergewöhnlich sei. Kein Fernseher, kein Videogerät. Kein Strom, sondern Kerzen. Kein Badezimmer, sondern das Flußwasser. Keine Matratzen, sondern Matten. Die völlige Rückkehr zur Natur. Diese Rückkehr zur Natur drückte sich, wie ich in Gedanken anmerkte, zunächst in Form einer Reihe von Entsagungen aus. Die Ökofreaks aus dem Jura - die Éric und Sylvie mit Vornamen hießen, was ich ungewollt während der Zugfahrt erfahren hatte - platzten schon vor Ungeduld. »Französische Küche heute abend«, sagte Son ohne sichtlichen Bezug abschließend. »Jetzt wir essen thai. Auch kleines Restaurant, Flußufer.«
        Der Ort war bezaubernd. Die Tische standen im Schatten hohe Bäume. Neben dem Eingang befand sich ein sonniges Bekken mit Schildkröten und Fröschen; erneut wunderte ich mich über die unglaubliche Vielfalt des Lebens in diesen Breiten. Weißliche Fische schwammen in dem Wasser. Auf der Oberfläche waren Seerosen und Wasserflöhe. Insekten ließen sich unablässig auf den Seerosen nieder. Die Schildkröten betrachteten all das mit der Gelassenheit, die man von ihrer Gattung gewohnt ist.
        Son kam, um mich zu benachrichtigen, daß das Mittagessen begonnen hatte. Ich ging auf das Restaurant am Fluß zu. Es
    waren zwei Tische für jeweils sechs Personen gedeckt worden; alle Plätze waren besetzt. Ich warf einen leicht verzweifelten Blick in die Runde, aber René kam mir sogleich zu Hilfe. »Kein Problem, kommen Sie an unseren Tisch! « rief er großzügig. »Wir stellen ein Gedeck hinzu.« Ich setzte mich also an den Tisch, an dem offensichtlich die bestehenden Paare versammelt waren: die Ökofreaks aus dem Jura, die Naturheilpraktiker - die, wie ich bei dieser Gelegenheit erfuhr, auf die Vornamen Albert und Suzanne hörten - und die beiden Metzgersenioren. Diese Zusammenstellung, das wurde mir sehr bald klar, ging in keiner Weise auf irgendwelche bestehenden Sympathien zurück, sondern entsprang der Notsituation, die sich bei der Auswahl der Tische ergeben hatte. Die Paare hatten sich wie in jeder Notsituation instinktiv zusammengeschlossen; dieses Mittagessen war im Grunde eine Beobachtungsrunde.
        Das Gespräch drehte sich zunächst um das Thema der Mas sagen, das den Naturheilpraktikern am Herzen zu liegen schien. Am Vorabend hatten Albert und Suzanne auf die traditionellen Tänze verzichtet und waren statt dessen in den Genuß einer ausgezeichneten Rückenmassage gekommen. René konnte sich ein anzügliches Lächeln nicht verkneifen ; Alberts Worte klärten ihn schnell darüber auf, daß seine Reaktion völlig unangebracht war. Die traditionelle Thai-Massage, sagte Albert begeistert, hatte nichts mit weiß der Teufel welchen Praktiken zu tun. Sie war der Ausdruck einer jahrhundertealten wenn nicht gar jahrtausendealten Zivilisation und stimmte im übrigen vollkommen mit der chinesischen Akupunkturlehre überein. Sie selbst übten sie in ihrer Praxis in Montbéliard aus, auch wenn sie natürlich nicht die Fingerfertigkeit der Thai-Profis erreichten; sie hätten am Vorabend eine gute Lehrstunde erhalten, sagte er zum Schluß. Éric und Sylvie hatten ihnen fasziniert zugehört. René hüstelte verlegen; das Paar aus Montbéliard rief allerdings keinerlei lüsterne Bilder hervor. Wer nur hatte die Legende verbreitet, Frankreich sei das Land der losen Sitten und des ausschweifenden Lebens wandels? Frankreich war ein beknacktes Land, ein völlig beknacktes, vom Amtsschimmel beherrschtes Land.
        »Ich habe mir auch den Rücken massieren lassen, aber das Mädchen hat auch meine Eier dabei nicht vergessen... «, warf ich ohne große Überzeugung ein. Da ich gerade auf Cachounüssen kaute, hörte niemand meine Bemerkung, bis auf Sylvie, die mir einen entsetzten Blick zuwarf. Ich trank einen Schluck Bier und hielt ihrem Blick ungeniert stand: War diese Frau überhaupt fähig, sich ordentlich um einen Pimmel zu kümmern? Der Beweis dafür stand noch aus. In der Zwischenzeit konnte ich auf meinen Kaffee warten.
        »Sie sind allerdings sehr hübsch, diese Kleinen ...«, bemerkte Josette, während sie sich ein Stück Papaya nahm, und vergrößerte damit noch die

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