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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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fern der Zivilisation zu sein, die grundlegenden Werte usw. »Ja, das ist Spitze«, bestätigte Léa. »Und haben Sie gesehen, wir sind hier mitten im Dschungel... Das hältst du im Kopf nicht aus. «
        Uns fiel es nicht so leicht, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Mir gegenüber aß Lionel bedächtig und schien nicht die leiseste Absicht zu haben, irgendeine Anstrengung zu unternehmen. Ich warf nervöse Seitenblicke um mich. Irgendwann entdeckte ich einen dicken bärtigen Mann, der aus der Küche kam und die Kellner abkanzelte; das konnte nur der vielzitierte Bertrand Le Moal sein. Für mich bestand bisher sein größtes Verdienst darin, daß er den Karen das Rezept für den Gratin dau phinois beigebracht hatte. Er schmeckte ausgezeichnet; und der Schweinebraten war perfekt geraten, knusprig und zart zugleich. » Es fehlt nur ein bißchen Wein... «, äußerte René melancholisch. Josiane verzog verächtlich die Lippen. Was sie von den französischen Touristen hielt, die nicht ohne ihren Wein verreisen konnten, brauchte man sie nicht zu fragen. Ziemlich ungeschickt verteidigte Valérie René. Wenn man thailändisch ißt, sagte sie, habe man nicht das Bedürfnis danach; aber hier sei ein bißchen Wein durchaus vertretbar. Sie selbst trinke sowieso nur Wasser.
        »Wenn man ins Ausland fährt«, sagte Josiane in schneidendem Tonfall, » dann tut man es doch, um die einheimische Küche zu probieren und um sich an die einheimischen Gebräuche zu halten !... Sonst sollte man besser gleich zu Hause bleiben. «
        » Bin ich einverstanden! « brüllte Robert. In ihrem Schwung unterbrochen, hielt sie inne und sah ihn haßerfüllt an.
        »Manchmal ist das aber doch ziemlich scharf gewürzt...«, gestand Josette schüchtern. »Sie scheint das wohl nicht zu stören ...«, sagte sie zu mir gewandt, vermutlich, um die Atmosphäre etwas aufzulockern.
        »Nein, nein, ich liebe das. Je schärfer, desto besser. Selbst in Paris esse ich die meiste Zeit chinesisch«, erwiderte ich schnell. Auf diese Weise konnte das Gespräch auf die chinesischen Restaurants gebracht werden, die sich in Paris in den letzten Jahren so stark vermehrt hatten. Valérie schätzte sie besonders für das Mittagessen: Sie waren nicht teuer, viel besser als die Fastfoodlokale und vermutlich viel gesünder. Josiane hatte zu dem Thema nichts zu sagen, sie aß in einer Kantine; was Robert anging, war das Thema vermutlich seiner nicht würdig. Kurz gesagt, bis zum Nachtisch verlief alles einigermaßen ruhig.

        Doch beim Klebreis ging es dann los. Er war leicht goldbraun gebacken und mit Zimt gewürzt - ein originelles Rezept, wie mir schien. Josiane beschloß, den Stier bei den Hörnern zu packen und das Problem des Sextourismus deutlich zur Sprache zu bringen. Für sie sei die Sache wirklich zum Kotzen, da gäbe es kein anderes Wort. Es sei ein Skandal, daß die thailändische Regierung so etwas dulde, die internationale Öffentlichkeit müsse alarmiert werden. Robert hörte ihr mit einem hämischen Lächeln zu, das mir nichts Gutes verhieß. Das sei ein Skandal, aber das sei kein Wunder, fuhr sie fort; man müsse nämlich wissen, daß ein großer Teil dieser Salons (dieser Bordelle, anders könne man sie nicht nennen) in Wirklichkeit im Besitz von Generälen seien; man könne sich ja vorstellen, welchen Schutz sie daher genössen.
        »Ich bin General ...«, warf Robert ein. Sie hielt verblüfft inne, wobei ihre Kinnlade jämmerlich herabhing. »Nein, nein, das war nur ein Scherz...«, fuhr er mit einem verkrampf ten Lachen fort. »Ich habe nicht mal den Wehrdienst abgeleistet.«
        Das schien sie nicht gerade zum Lächeln zu bringen. Es dauerte eine Weile, ehe sie die Fassung wiederfand, aber dann fuhr sie mit vervielfachter Energie fort:
        »Es ist wirklich eine Schande, daß dicke Spießer ungestraft das Elend dieser Mädchen ausnutzen können. Man muß wissen, daß sie alle aus Provinzen des Nordens oder des Nordostens kommen, aus den ärmsten Regionen des Landes.«
        »Nicht alle ...«, widersprach er, »einige kommen auch aus Bangkok.«
        »Das ist sexuelle Sklaverei!« schrie Josiane, die seine Bemerkung überhört hatte. »Es gibt kein anderes Wort dafür!...«
        Ich gähnte leicht. Sie warf mir einen finsteren Blick zu, fuhr aber fort und nahm uns alle zum Zeugen: »Finden Sie es nicht skandalös, daß irgendein spießiger Dickwanst herkommt und diese kleinen Mädchen

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