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wir kaum vertreten.«
»Genau aus diesem Grund habe ich mich über Ihren jüngsten Kauf gewundert«, warf Jean-Yves ein. »Ich dachte, Ihr vorrangiges Entwicklungsziel bliebe der Geschäftsreisensektor, vor allem in Asien.«
» Das bleibt auch unsere vorrangige Zielrichtung«, erwiderte Espitalier ruhig. »Allein in China zum Beispiel sind die Möglichkeiten im Bereich des Niedrigpreissegments ungeheuer groß. Wir besitzen die Erfahrung, wir haben das Know-how: Stellen Sie sich nur mal Konzepte wie Ibis oder Formule 1 vor, die landesweit ausgebaut werden können. Andererseits... wie soll ich Ihnen das erklären...«, er dachte einen Augenblick nach, blickte erst an die Decke, dann auf den Konferenztisch zu seiner Rechten, ehe er den Blick wieder auf Jean-Yves richtete. »Aurore ist eine diskrete Gruppe«, fuhr er schließlich fort. »Paul Dubrule hat oft zu uns gesagt, das einzige Geheimnis, um Erfolg auf dem Markt zu haben, besteht darin, zur rechten Zeit zu kommen. Und das heißt, nicht zu früh: Es ist selten, daß die wirklichen Pioniere auf einem Gebiet einen maximalen Gewinn aus ihrer Erfindung ziehen - das ist die Geschichte von Apple gegen Microsoft. Aber das heißt natürlich auch, nicht zu spät zu kommen. Und genau da hat sich unsere Diskretion bezahlt gemacht. Wenn man die Entwicklung im dunkeln vorantreibt, ohne Aufsehen zu erregen, ist es für Ihre Konkurrenten, wenn sie plötzlich aufwachen und sich ebenfalls bemühen, die Marktlücke auszunutzen, meist zu spät: Dann haben Sie den Sektor bereits völlig abgeriegelt und einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil erzielt. Unser Bekanntheitsgrad bleibt hinter unserer wirklichen Bedeutung zurück; das war weitgehend beabsichtigt.
Aber diese Zeit ist vorbei«, fuhr er nach einem weiteren Seufzer fort. »Heute weiß jeder, daß wir auf dem Weltmarkt führend sind. Und von diesem Augenblick an ist es unnötig und sogar gefährlich -, allzu große Diskretion zu zeigen. Eine so bedeutende Gruppe wie Aurore ist es sich schuldig, ihr öffentliches Image zu pflegen. Die Business-Hôtellerie ist ein sehr si cherer Sektor, der hohe, regelmäßige Einkünfte garantiert. Aber wie soll ich es sagen, der Fun-Faktor ist ziemlich gering. Wer spricht schon über seine Geschäftsreisen? Niemand hat Spaß daran. Um ein positives Image in der breiten Öffentlichkeit zu entwickeln, hatten wir die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten: Pauschalreisen oder Club-Hotels. Pauschalreisen sind weiter von unserem ursprünglichen Gewerbe entfernt, aber es gibt sehr solide Firmen, die nur darauf warten, den Besitzer zu wechseln, wir wären um ein Haar diesen Weg gegangen. Doch dann bot sich uns die Gelegenheit, die Eldorador-Kette aufzukaufen, und da haben wir zugegriffen.«
»Ich versuche nur Ihre Zielvorstellungen zu begreifen«, bemerkte Jean-Yves. »Legen Sie größeren Wert auf das Ergebnis oder auf das Image?«
»Das ist eine komplexe Frage ...« Espitalier zögerte und rutschte leicht in seinem Sessel hin und her. »Das Problem, mit dem Aurore zu kämpfen hat, besteht darin, daß die Aktionäre keine homogene Gruppe bilden. Das hat übrigens 1994 zu dem Gerücht geführt, ein anderes Unternehmen versuche die Gruppe mit einem öffentlichen Übernahmeangebot zu schlucken ich kann Ihnen versichern«, fuhr er mit selbstsicherer Geste fort, »daß diese Gerüchte völlig unbegründet waren. Und heute wären sie es erst recht: Unsere Verschuldung ist gleich Null, und keine Unternehmensgruppe auf der Welt, selbst außerhalb des Hotelleriesektors, ist groß genug, um sich auf so ein Vorhaben einzulassen. Es stimmt allerdings, daß unsere Aktionäre im Gegensatz zu Nouvelles Frontières zum Beispiel keinen kohärenten Personenkreis bilden. Paul Dubrule und Gérard Pélisson waren im Grunde weniger Kapitalisten als Unternehmer - sehr große Unternehmer, meiner Meinung nach zählen sie zu den größten Unternehmern des Jahrhunderts. Aber sie haben nicht versucht, die Aktionäre ihres Unternehmens persönlich unter Kontrolle zu halten; und das bringt uns heute in eine heikle Lage. Sie wissen genausogut wie ich, daß es aus Prestigegründen manchmal nötig ist, Ausgaben zu tätigen, die die strategische Position der Gruppe verbessern, ohne kurzfristig eine positive finanzielle Wirkung zu erzielen. Wir wissen ebenfalls, daß es manchmal nötig ist, einen defizitären Sektor eine Zeitlang zu unterstützen, weil der Markt noch nicht reif ist oder weil er
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