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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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den israelisch-palästinensischen Konflikt bringen sollte, doch dann wurde mir klar, daß mir die Meinung dieser Mädchen scheißegal war; und falls sie aufhören sollten, mich dauernd anzurufen, um so besser, dann hatte ich weniger Arbeit. »Ja, diese Leute kotzen mich an«, ging ich noch ein Stück weiter. »Und ihr kotzt mich auch an«, fügte ich leiser hinzu.
        Géraldine hatte es nicht gehört oder tat so, als habe sie es nicht gehört. »Wenn ich volljährig und damit einverstanden bin«, warf sie ein, »und mein Phantasma darin besteht, zu leiden und die masochistische Dimension meiner Sexualität auszuleben, dann sehe ich nicht, mit welchem Recht man mich daran hindern könnte. Wir leben schließlich in einer Demokratie...« Sie war ebenfalls aufgebracht, ich spürte, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis sie sich auf die Menschenrechte berief. Bei dem Wort Demokratie hatte Bredane ihr einen etwas verächtlichen Blick zugeworfen; er wandte sich Valérie zu. »Sie haben recht«, sagte er nüchtern, »das ist total beschissen. Wenn ich sehe, daß jemand zustimmt, daß man ihm mit der Zange einen Fingernagel ausreißt, ihm auf den Körper scheißt und er sich anschließend bereit findet, die Scheiße seines Henkers zu fressen, dann finde ich das widerlich. Aber mich interessiert nun mal gerade die widerliche Seite am Menschen. «
        Nach ein paar Sekunden fragte Valérie betrübt: »Und warum?...«
        »Ich weiß nicht«, erwiderte Bredane ungekünstelt. »Ich glaube nicht an die Vorstellung vom verfemten Teil im Men
    schen, weil ich an keine Form des Fluchs, allerdings auch nicht der Segnung glaube. Aber ich habe den Eindruck, wenn man sich dem Leiden und der Grausamkeit, der Herrschsucht und der Knechtschaft nähert, dann stößt man auf etwas Wesentliches, auf die eigentliche Natur der Sexualität. Meinen Sie nicht?...« Jetzt wandte er sich an mich. Nein, ehrlich gesagt glaubte ich das nicht. Die Grausamkeit ist tief im Menschen verankert, man trifft sie bei den primitivsten Völkern an: Bereits bei den ersten Stammeskriegen haben die Sieger darauf geachtet, gewisse Gefangene am Leben zu erhalten, um sie später unter fürchterlichen Qualen sterben zu lassen. Diese Tendenz hat sich immer wiederholt, ist eine Konstante in der Geschichte, selbst heute ist sie unverändert: Sobald ein Bürgerkrieg oder ein Krieg mit einem anderen Land die normalen moralischen Zwänge außer Kraft setzt - und zwar unabhängig von Rasse, Bevölkerung oder Kultur -, gibt es immer Menschen, die bereit sind, sich den Freuden der Barbarei und des Mordens hinzugeben. Das ist dokumentiert, unabänderlich und unbestreitbar, hat aber nichts mit der Suche nach sexueller Lust zu tun, die ebenfalls tief verankert, ebenfalls sehr stark ist. Kurz gesagt, ich war nicht seiner Meinung; aber mir war wie üblich klar, daß die Diskussion fruchtlos war.
        »Vielleicht sollten wir uns hier mal etwas umsehen«, sagte Bredane, nachdem er sein Bier ausgetrunken hatte. Ich folgte ihm in Begleitung der anderen in die erste Folterkammer. Es war ein Kellergewölbe aus unverputzten Steinen. Die Hintergrundmusikbestand aus sehr tiefen Orgelakkorden, die von höllischem Geheul überlagert waren. Ich stellte fest, daß die Verstärker riesig waren; fast überall waren rote Spotlights, Masken und an Gestellen hängende Folterwerkzeuge; die Einrichtung mußte ein Vermögen gekostet haben. In einem Alkoven war ein kahlköpfiger, fast zum Skelett abgemagerter Typ an allen vier Gliedmaßen festgemacht, seine Füße steckten in einer hölzernen Vorrichtung, die ihn etwa fünfzig Zentimeter über dem Bo den hielten, und seine Arme steckten in Handschellen, die an der Decke befestigt waren. Eine Domina in schwarzem Latex, die Stiefel und Handschuhe trug und mit einer Peitsche aus feinen, mit Edelsteinsplittern inkrustierten Lederriemen bewaffnet war, ging um ihn herum. Erst schlug sie mit weit ausholenden, festen Hieben auf seinen Hintern ein; der Typ befand sich direkt vor uns, war völlig nackt und stieß Schmerzensschreie aus. Eine kleine Gruppe hatte sich um das Paar gebildet. »Sie muß wohl auf Stufe zwei sein«, flüsterte Bredane mir zu. »Bei Stufe eins hört man beim Anblick der ersten Blutstropfen auf.« Der Pimmel und die Eier des Typen baumelten lang und wie verzerrt ins Leere. Die Domina lief um ihn herum, wühlte in einer kleinen Tasche, die an ihrem Gürtel befestigt war, und holte mehrere Angelhaken hervor, die sie in

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