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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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bist du fertig. Es sei denn, du bist der Konkurrenz entscheidend voraus, in dem Fall kannst du dich ein paar Jahre ausruhen; aber soweit sind wir noch nicht. Das Prinzip der >Eldorador Entdeckung< ist gut, ein cleverer, wenn du so willst, genialer Einfall, aber das ist nichts wirklich Neues, das ist nur eine gut dosierte Mischung zweier älterer Konzepte. Die Konkurrenz wird feststellen, daß das funktioniert, und sehr schnell dieselbe Markt lücke ausnutzen. Das ist leicht zu verwirklichen; schwierig daran war nur, die Sache in so kurzer Zeit auf die Beine zu stellen. Aber ich bin sicher, daß Nouvelles Frontières zum Beispiel imstande ist, bereits für den nächsten Sommer ein konkurrenzfähiges Angebot zu machen. Wenn wir unseren Wettbewerbsvorteil wahren wollen, müssen wir wieder was Neues anbieten. «
        »Hört das denn nie auf?«
        »Ich glaube nicht, Michel. Ich arbeite in einem System, das ich kenne, und werde gut dafür bezahlt; ich habe mich auf die Spielregeln eingelassen.«
        Ich muß wohl ein düsteres Gesicht gemacht haben, denn sie legte mir den Arm um den Hals. »Komm, laß uns zum Essen gehen «, sagte sie, » meine Eltern werden schon warten. «

        Wir fuhren Sonntagabend nach Paris zurück. Bereits am Montagmorgen waren Valérie und Jean-Yves mit Éric Leguen verabredet. Er wollte ihnen im Namen der Gruppe seine Zufriedenheit über die ersten Ergebnisse ihrer Sanierungsbemühungen ausdrücken. Der Vorstand hatte einstimmig beschlossen, ihnen eine Prämie in Form von Aktien zu gewähren - was für Mitarbeiter, die noch kein ganzes Jahr in der Firma arbeiteten, außergewöhnlich war.
        Abends aßen wir alle drei in einem marokkanischen Restaurant in der Rue des Écoles. Jean-Yves war schlecht rasiert, wackelte mit dem Kopf und wirkte ein wenig aufgeschwemmt. »Ich glaube, er hat angefangen zu trinken«, hatte Valérie im Taxi zu mir gesagt. »Er hat gräßliche Ferien mit seiner Frau und seinen Kindern auf der Ile de Ré verbracht. Er wollte eigentlich vierzehn Tage bleiben, aber nach einer Woche ist er abgereist. Er hat mir gesagt, daß er die Freunde seiner Frau wirklich nicht mehr ertragen könne. «
        Er schien tatsächlich nicht in Form zu sein: Er rührte sein Tagine nicht an, schenkte sich ständig Wein nach. »Jetzt ist es soweit!« rief er in hämischem Ton, »jetzt kriegen wir bald echte Knete ! « Er schüttelte den Kopf, leerte sein Glas Wein. » Entschuldigt bitte ...«, sagte er jämmerlich, »entschuldigt bitte, ich sollte so etwas nicht sagen.« Er legte seine leicht zitternden Hände auf den Tisch und wartete; das Zittern ließ allmählich nach. Dann blickte er Valérie festin die Augen.
        »Hast du gehört, was Marylise passiert ist?«
        »Marylise Le François? Nein, ich habe sie nicht gesehen. Ist sie krank?«
        »Krank? Nein. Sie hat drei Tage im Krankenhaus gelegen, man hat ihr Beruhigungsmittel gegeben, aber sie ist nicht krank. Sie ist letzten Mittwoch auf der Heimfahrt von der Arbeit im Zug nach Paris überfallen und vergewaltigt worden. «
        Marylise nahm am folgenden Montag die Arbeit wieder auf. Sie hatte ganz offensichtlich einen Schock erlitten; ihre Gesten waren langsamer als gewöhnlich, fast mechanisch. Sie erzählte ihre Geschichte mit großer Leichtigkeit, mit zu großer Leichtigkeit, das konnte kaum normal sein: Ihr Ton war neutral, ihr Gesicht starr und ausdruckslos, man hatte den Eindruck, als wiederholte sie mechanisch die Aussage, die sie zu Protokoll gegeben hatte. Als sie um 22 Uhr 15 ihre Arbeitsstelle verlassen hatte, beschloß sie, mit dem Zug um 22 Uhr 21 heimzufahren, da sie meinte, daß es so schneller ginge, als auf ein Taxi zu warten. Das Abteil war dreiviertel leer. Die vier Typen kamen auf sie zu und beschimpften sie sofort. Soweit sie es beurteilen konnte, stammten sie von den Antillen. Sie versuchte, mit ihnen zu reden und zu scherzen; zur Antwort erhielt sie eine Ohrfeige, die sie halb ohnmächtig werden ließ. Dann stürzten sie sich auf sie, zwei von ihnen hielten sie mit dem Rücken auf dem Boden fest. Sie drangen mit Gewalt, ohne die geringste Rücksicht, durch alle Körperöfrnungen in sie ein. Jedesmal wenn sie einen Laut von sich zu geben suchte, erhielt sie erneut einen Schlag mit der Faust oder eine Ohrfeige. Das alles dauerte sehr lange, der Zug hielt mehrmals; die Fahrgäste stiegen aus, wechselten vorsichtshalber das Abteil. Während die Typen sie abwechselnd

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