Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Plattform

Plattform

Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
Vom Netzwerk:
ist normal, das kann man verstehen, aber in der Tourismusbranche ist das wirklich unmöglich. In der Werbung, in den Katalogen, in allem, was die Öffentlichkeitsarbeit ganz allgemein angeht, werden die Einheimischen immer als herzliche, liebenswürdige, offene Menschen dargestellt. Das läßt sich unmöglich anders machen: Das ist wirklich ein beruflicher Zwang. «

        Am nächsten Tag sprach Jean-Yves mit Leguen darüber, der weniger Skrupel hatte, und eine Woche später wurde Marylise in die Buchhaltung ver setzt, auf die Stelle einer Angestellten, die gerade in den Ruhestand getreten war. Es mußte jemand andres für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Eldorador gefunden werden. Jean-Yves und Valérie führten die Vorstellungsgespräche gemeinsam durch. Nachdem sie ein knappes Dutzend Bewerber angehört hatten, aßen sie gemeinsam in der Kantine, um zu beratschlagen.
        »Ich wäre dafür, Noureddine zu nehmen«, sagte Valérie. »Er hat ein unglaubliches Talent und schon an ziemlich vielen unterschiedlichen Projekten mitgearbeitet. «
        »Ja, er ist der beste; aber ich habe den Eindruck, daß er fast zu begabt ist für diesen Posten. Ich kann ihn mir nicht recht in der Rolle des Pressesprechers eines Touristik-Konzerns vorstellen, eher in einer anspruchsvolleren Branche mit mehr glamour. Hier dürfte er sich bald langweilen, und dann bleibt er nicht lange. Unsere Zielgruppe ist doch eher die Mittelschicht. Außerdem ist er arabischer Abstammung, das kann Probleme mit sich
    bringen. Um die Leute anzuziehen, muß man eine ganze Menge Klischees über die arabischen Länder benutzen: Gastfreundschaft, Pfefferminztee, Fantasias, Beduinen ... Ich habe festgestellt, daß solche Dinge bei den arabischstämmigen Franzosen auf Widerstand stoßen; tatsächlich haben sie oft eine Abneigung gegen arabische Länder ganz allgemein. «
        »Rassendiskriminierung bei der Einstellung ...«, sagte Valérie spöttisch.
        »Das ist doch Quatsch!« Jean-Yves ereiferte sich ein wenig; seit seiner Rückkehr aus dem Urlaub war er wirklich zu angespannt, verlor allmählich den Sinn für Humor. »Das tut doch jeder!« fuhr er mit zu lauter Stimme fort; am Nebentisch drehten sich die Leute um. »Die Herkunft der Bewerber ist ein Teil ihrer Persönlichkeit, das muß einfach berücksichtigt werden, das ist doch klar. Zum Beispiel würde ich ohne zu zögern einen tunesischen oder marokkanischen Einwanderer für die Verhandlungen mit den einheimischen Leistungserbringern nehmen - selbst jemanden, der noch nicht so lange in Frankreich ist wie Noureddine. Sie haben eine doppelte Zugehörigkeit, das wirkt sich sehr positiv aus, ihr Gesprächspartner ist ihnen nie gewachsen. Außerdem kommen sie mit dem Prestige von jemandem an, der es in Frankreich zu etwas gebracht hat, das respektieren die Einheimischen von vornherein, sie haben den Eindruck, daß sie diese Typen unmöglich reinlegen können. Die besten Unterhändler, die ich gehabt habe, waren alles Leute mit doppelter Abstammung. Aber hier für diesen Job wäre ich eher geneigt, Brigit zu nehmen. «
        »Die Dänin?«
        »Ja. Sie kennt sich auch gut mit Grafikprogrammen aus. Sie ist eine entschiedene Gegnerin des Rassismus - ich glaube, sie lebt mit einem Jamaikaner zusammen, sie ist ein bißchen verrückt und begeistert sich sofort für alles, was mit Exotik zu tun hat. Sie hat nicht die Absicht, in der nächsten Zeit ein Kind zu bekommen. Alles in allem glaube ich, daß sie das richtige Profil besitzt.«
        Vielleicht gab es auch noch einen anderen Grund. Valerie merkte das ein paar Tage später, als sie mitbekam, wie Brigit Jean-Yves die Hand auf die Schulter legte. »Ja, du hast recht«, bestätigte er ihr, als sie beide vor dem Kaffeeautomaten standen, »mein Fall verschlimmert sich, jetzt kommt auch noch sexuelle Belästigung dazu... Na ja, das ist zwei- oder dreimal vorgekommen, aber weiter wird die Sache nicht gehen, außerdem hat sie sowieso einen Freund.« Valérie warf ihm einen raschen Blick zu. Er hätte sich das Haar schneiden lassen müssen, er vernachlässigte sich im Augenblick wirklich. »Ich mache dir keinen Vorwurf«, sagte sie. Seine geistige Kapazität hatte nicht nachgelassen, er schätzte die Situationen und die Leute noch immer sehr genau ein, und er besaß eine feine Nase, was Fragen der Finanzierung betraf. Aber er machte einen immer traurigeren Eindruck, wirkte wie einer, der sich gehenläßt.

        Die

Weitere Kostenlose Bücher