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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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zumindest nicht in dieser Form. Selbst Valérie und Jean-Yves - und sogar ich in gewisser Weise trugen immerhin eine gewisse berufliche Verantwortung im wirklichen Leben; wir waren seriöse, achtbare Angestellte, die alle mehr oder weniger von Sorgen geplagt wurden - ganz zu schweigen von den Steuern, gesundheitlichen Problemen und anderen Dingen. Die meisten Gäste, die an diesen Tischen saßen, befanden sich in einer ganz ähnlichen Lage: Sie waren leitende Angestellte, Lehrer, Ärzte, Ingenieure, Buchhalter; oder sie waren es früher gewesen und jetzt im Ruhestand. Ich begriff nicht, wie sich die Animateure der Hoffnung hingeben konnten, wir würden uns begeistert in Kontaktabende oder Gesangswett bewerbe stürzen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie wir uns in unserem Alter und unserer Situation den Sinn fürs Feiern bewahrt haben sollten. Ihre Shows waren bestenfalls für Teenis unter vierzehn konzipiert.
        Ich versuchte meine Überlegungen Valérie mitzuteilen, aber der Animateur begann wieder zu sprechen, er hielt das Mikrophon viel zu nah an den Mund, so daß es einen furchtbaren Lärm erzeugte. Er gab jetzt einen Sketch zum Besten, in dem er den Komiker Lagaf oder vielleicht auch Laurent Baffie nachahmte; wie dem auch sei, er ging mit Flossen über die Bühne, gefolgt von einem Mädchen, das sich als Pinguin verkleidet hatte und über alles lachte, was er sagte. Die Show endete mit dem Club-Tanz und den crazy signs; ein paar Leute in der ersten Reihe standen auf und schwenkten träge die Arme. Jean-Yves neben mir unterdrückte ein Gähnen. »Sollen wir mal in die Disco gehen?« schlug er vor.

        Dort waren etwa fünfzig Leute, aber außer den Animateuren tanzte kaum jemand. Der DJ legte abwechselnd Technound Salsa-Platten auf. Schließlich versuchten sich einige Paare mittleren Alters in Salsa. Der Animateur mit den Flossen watschelte zwischen den Paaren über die Tanzfläche, klatschte in die Hände und brüllte: »Caliente! Caliente!«. Ich hatte den Eindruck, als störe er die Tänzer eher. Ich setzte mich an die Bar und bestellte eine Pinacolada. Nach weiteren zwei Cocktails stieß mich Valerie mit dem Ellbogen an und wies auf Jean-Yves. » Ich glaube, wir können ihn jetzt allein lassen«, flüsterte sie mir ins Ohr. Er unterhielt sich mit einer sehr hübschen Frau um die Dreißig, vermutlich einer Italienerin. Sie standen ganz nah beieinander, Schulter an Schulter; ihre Gesichter waren einander zugewandt.
        Die Nacht war heiß und schwül. Valérie nahm mich am Arm. Der Rhythmus der Diskothek verebbte; man hörte das Rauschen eines Walkie-Talkies, Wächter patrouillierten im In neren des Geländes. Hinter dem Swimmingpool bogen wir seitlich ab und gingen auf den Ozean zu. Der Strand war menschenleer. Die Wellen trafen ein paar Meter vor uns sanft auf den Sand ; kein Geräusch war mehr zu hören. Als wir im Bungalow ankamen, zog ich mich aus, dann legte ich mich hin und wartete auf Valérie. Sie putzte sich die Zähne, zog sich ebenfalls aus und kam zu mir. Ich schmiegte mich an ihren nackten Körper. Ich legte die eine Hand auf ihre Brüste, die andere auf ihren Schoß. Es war ein sanftes Gefühl.

    8

        Als ich aufwachte, lag ich allein im Bett und hatte leichte Kopfschmerzen. Ich stand taumelnd auf und zündete mir eine Zigarette an; nach ein paar Zügen fühlte ich mich etwas besser. Ich schlüpfte in meine Hose und ging auf die Terrasse hinaus, die voller Sand war - der Wind hatte ihn wohl in der Nacht herbeigeweht. Der Tag war gerade erst angebrochen; der Himmel schien bewölkt zu sein. Ich ging ein paar Meter aufs Meer zu, dann entdeckte ich Valérie. Sie tauchte mitten in die Wellen hinein, schwamm ein paar Züge, richtete sich wieder auf und tauchte erneut.
        Ich blieb stehen, zog an meiner Zigarette; der Wind war ziemlich kühl, ich zögerte, zu ihr ins Wasser zu gehen. Sie wandte sich um, sah mich und rief: »Komm doch!«, wobei sie mir zuwinkte. In diesem Augenblick brach die Sonne durch die Wolken und beleuchtete Valérie von vorn. Das Licht funkelte auf ihren Brüsten und ihren Hüften, ließ die Gischt in ihrem Haar und ihrem Schamhaar aufblitzen. Ich blieb ein paar Sekunden wie angewurzelt stehen, wobei mir klar wurde, daß es ein Bild war, das ich nie vergessen würde, daß es zu jenen Bildern gehören würde, die man, wie es scheint, wenige Sekunden vor dem Tod vor seinem innerenAuge vorüberziehen sieht.
        Die Kippe verbrannte mir die Finger;

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