Plattform
ich warf sie in den Sand, zog mich aus und ging auf das Meer zu. Das Wasser war kühl und sehr salzig; es war ein Jungbrunnen. Ein sonniger Streifen glitzerte auf der Oberfläche des Wassers, lief direkt auf den Horizont zu; ich atmete tief ein und tauchte in die Sonne.
Später kuschelten wir uns unter ein Badetuch und sahen zu, wie die Sonne über dem Ozean aufstieg. Die Wolken lösten sich nach und nach auf, die leuchtenden Oberflächen gewannen an Weite. Manchmal erscheint morgens alles einfach. Valérie warf das Badetuch von sich, überließ ihren Körper der Sonne. »Ich habe keine Lust, mich anzuziehen«, sagte sie. »Nur ein bißchen ...«, erwiderte ich auf gut Glück. Ein Vogel schwebte in nicht allzu großer Höhe, suchte die Wasseroberfläche ab. »Ich schwimme gern, ich mag gern Sex«, sagte sie weiter. »Aber ich tanze nicht gern, ich bin unfähig, mich abzulenken, und ich habe immer Abendveranstaltungen gehaßt. Ist das normal?«
Ich zögerte eine ganze Weile, ehe ich ihr antwortete. »Ich weiß nicht«, sagte ich schließlich. »Ich weiß nur, daß es mir genauso geht.«
Beim Frühstück waren noch nicht viele Tische besetzt, aber Jean-Yves war schon da, saß mit einer Zigarette in der Hand vor einer Tasse Kaffee. Er war unrasiert und machte den Eindruck, schlecht geschlafen zu haben; er winkte uns leicht zu. Wir setzten uns ihm gegenüber.
»Na, hat das mit der Italienerin geklappt?« fragte Valérie, während sie sich über ihr Rührei hermachte.
»Nein, nicht richtig. Sie hat mir erzählt, daß sie im Marketingbereich arbeitet und Schwierigkeiten mit ihrem Freund hat und daß sie deswegen allein in Urlaub gefahren ist. Das ist mir auf den Wecker gefallen und da bin ich ins Bett gegangen. «
» Du solltest es mal mit den Zimmermädchen versuchen... «
Er gab ein leichtes Lächeln von sich, zerdrückte seine Kippe im Aschenbecher.
»Was wird heute geboten?« fragte ich. »Ich meine ... das sollte doch ein >Entdeckungsurlaub< sein.«
»Ach ja ...«, Jean-Yves verzog müde den Mund. »Aber nur teilweise. Ich meine, wir haben nicht genug Zeit gehabt, um allzuviel auf die Beine zu stellen. Es ist das erste Mal, daß ich mit ei nem sozialistischen Land zusammenarbeite; es scheint ziemlich kompliziert zu sein, hier etwas im letzten Moment zu organisieren. Kurz und gut, heute nachmittag findet irgend etwas mit Delphinen statt...» Er verbesserte sich sogleich, versuchte, die Sache genauer zu formulieren. »Also wenn ich richtig verstanden habe, gibt es eine Show mit Delphinen, und anschließend kann man mit ihnen schwimmen. Ich nehme an, man setzt sich auf ihren Rücken oder irgend so was. «
»Ach ja, das kenne ich«, warf Valérie ein, »das ist absolute Kacke. Jeder glaubt, Delphine wären sehr sanfte, freundliche Säugetiere. Dabei ist das völlig falsch, sie leben in stark hierarchisch gegliederten Verbänden mit einem dominanten männlichen Tier, und sie sind eher aggressiv : Es gibt häufig Kämpfe auf Leben und Tod. Das einzige Mal, bei dem ich versucht habe, mit Delphinen zu schwimmen, bin ich von einem Weibchen gebissen worden.«
»Na ja, gut...«, Jean-Yves hob die Hände, um Valérie zu beschwichtigen. »Wie dem auch sei, auf jeden Fall findet heute nachmittag für alle, die es interessiert, die Sache mit den Delphinen statt. Morgen und übermorgen machen wir einen zweitägigen Ausflug nach Baracoa; das dürfte eigentlich nicht schlecht sein, ich hoffe es jedenfalls. Und danach ...«, er überlegte eine Weile, »danach war es das auch schon. Ach nein, am letzten Tag, ehe wir wieder abfliegen, gibt es ein Mittagessen mit Langusten und es findet ein Besuch auf dem Friedhof von Santiago statt.«
Nach dieser Erklärung blieb es einige Sekunden still. »Ja«, sagte Jean-Yves dann mühsam, »ich glaube, wir haben bei diesem Reiseziel wohl Mist gebaut. «
»Im übrigen«, fuhr er nach kurzem Nachdenken fort, »habe ich den Eindruck, daß dieser Club nicht richtig läuft. Also ich meine, selbst unabhängig von mir. Ich habe nicht das Gefühl, als hätten sich gestern abend in der Diskothek viele Paare gebildet, selbst unter den jungen Leuten. « Er schwieg wieder ein paar
Sekunden. »Ecco ...«, sagte er schließlich mit einer resignierten Geste.
»Der Soziologe hatte doch recht«, meinte Valérie nachdenklich.
»Welcher Soziologe?«
»Lagarrigue. Der
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