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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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war ein von der Natur reichlich bedachter Mann und legte Wert darauf, es zu zeigen. Während ich an meinen Tisch zurückging, nachdem ich unter großen Schwierigkeiten meinen vierten Cocktail bekommen hatte, sah ich, daß sich der Mann einem Nachbartisch näherte, an dem eine kleine, dicht gedrängte Gruppe von Mittfünfzigerinnen aus Quebec saß. Ich hatte sie schon beim Ankommen bemerkt; sie waren untersetzt und widerstandsfähig, zeigten vor allem ihre Zähne und ihr Fett und redeten unglaublich laut. Es war nicht schwer zu begreifen, daß sie ihre Ehemänner sehr bald unter die Erde gebracht hatten. Ich spürte, daß man es in ihrer Gegenwart besser vermied, sich in der Schlange vor dem Büffet vorzudrängeln oder sich eine Schale Müsli zu nehmen, auf die sie ihr Augenmerk gerichtet hatten. Als sich der ehemalige Beau ihrem Tisch näherte, warfen sie ihm flammende Blicke zu, bekamen fast wieder etwas Weibliches. Er stolzierte vor ihnen daher, verstärkte seine Obszönität noch durch eine in regelmäßigen Abständen wiederholte Geste, mit der er am Gummizug seiner Badehose zerrte, als wolle er sich dadurch der Materialität seiner Garnitur vergewissern. Die kanadischen Mittfünfzigerinnen schienen von der suggestiven Gesellschaft dieses Mannes begeistert zu sein; ihre alten, verbrauchten Körper hatten noch Sonne nötig. Er spielte seine Rolle sehr gut, flüsterte den alten Schnepfen etwas ins Ohr, nannte sie nach kubanischer Art » mi corazón « oder » mi amor«. Mehr würde sich nicht abspielen, das war klar, er begnügte sich damit, ein letztes Erschauern in ihren alten Mösen hervorzurufen. Aber vielleicht genügte das, um ihnen den Eindruck zu vermitteln, daß sie herrliche Ferien verbracht hatten, und um sie zu veranlassen, den Club ihren Freundinnen zu empfehlen; sie hatten mindestens noch zwanzig Jahre vor sich. Ich entwickelte daraufhin das Konzept für einen Gesellschaftsporno mit dem Titel Die entfesselten Senioren. Der Film setzte zwei Banden in Szene, die in den Ferienclubs operierten, die eine bestand aus italienischen Senioren, die andere aus kanadischen Seniorinnen aus Quebec. Beide Banden waren mit Nunchaku und Eispickeln bewaffnet und fielen über nackte, gebräunte Jugendliche her. Selbstverständlich begegneten sie sich schließlich auf einem Segelschiff des Club Méditerranée; die gesamte Crew wurde schnell unschädlich gemacht und ihre Mitglieder einer nach dem anderen von den blutrünstigen Seniorinnen vergewaltigt, ehe sie über Bord geworfen wurden. Der Film endete mit einer riesigen Sexparty der Senioren, während das Schiff, das sich von den Leinen gelöst hatte, direkt in Richtung Südpol segelte.

    Endlich gesellte sich Valérie zu mir: Sie hatte sich geschminkt, trug ein kurzes, durchsichtiges weißes Kleid ; ich hatte noch immer Lust auf sie. Wir trafen Jean-Yves vor dem Büffet wieder. Er wirkte entspannt, fast lässig, und teilte uns träge seinen ersten Eindruck mit. Das Zimmer war nicht schlecht, das Animationsprogramm etwas aufdringlich; sein Bungalow be fand sich direkt neben der Lautsprecheranlage, es war fast unerträglich. Das Essen war nicht besonders, fügte er hinzu und starrte bitter auf sein Stück gekochtes Hühnchen. Dennoch bedienten sich alle reichlich und mehrmals am Büffet; vor allem die Senioren waren erstaunlich gierig, als hätten sie sich den ganzen Nachmittag mit Wassersport und beach volley verausgabt. »Sie essen und essen ...«, kommentierte Jean-Yves resigniert. »Was sollen sie auch schon anderes tun?«
        Nach dem Abendessen gab es eine Darbietung, bei der wieder einmal die Beteiligung der Zuschauer gefordert war. Eine Frau um die Fünfzig versuchte sich in einer Karaoke-Nummer von Sheilas Bang-bang. Das war ganz schön mutig von ihr; sie erhielt etwas Applaus. Insgesamt wurde die Show jedoch von den Animateuren durchgezogen. Jean-Yves schien nahe am Einschlafen zu sein; Valérie schlürfte in Ruhe ihren Cocktail. Ich blickte zum Nebentisch hinüber: Die Leute machten den Eindruck, als langweilten sie sich ein wenig, aber nach jedem Sketch klatschten sie höflich. Die Gründe für das nachlassende Interesse an Ferien in Club-Hotels schienen mir nicht schwer zu erkennen zu sein, sie lagen meiner Ansicht nach geradezu auf der Hand. Die Kundschaft setzte sich größtenteils aus Senioren oder älteren Erwachsenen zusammen, und das Animationsteam bemühte sich, ihnen ein Glücksgefühl zu vermitteln, das sie nicht mehr empfinden konnten,

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