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Plattform

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Titel: Plattform Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Büro wieder. Wir hatten im Flugzeug wenig geschlafen; Von diesem Tag in dem riesigen, leeren Gebäude ist mir die fröhliche, sehr seltsam wirkende Atmosphäre einer Märchenwelt in Erinnerung geblieben. In der Woche arbeiteten hier dreitausend Menschen, aber an diesem Samstag waren wir nur zu dritt, mit Ausnahme der Wachmannschaft. Ganz in der Nähe, auf dem Vorplatz des Einkaufszentrums von Évry, bekämpften sich zwei rivalisierende Jugendbanden mit Teppichmessern, Baseballschlägern und Schwefelsäureflaschen; abends zählte man sieben Tote, darunter zwei Passanten und einen Bereitschaftspolizisten. Das Ereignis sollte ausführlich im Radio und im Fernsehen kommentiert werden; aber wir wußten noch nichts davon. Wir bereiteten in einem etwas irrealen Zustand der Erregung eine programmatische Plattform für die Aufteilung der Welt vor. Die Vorschläge, die ich machte, würden vielleicht die Investition von mehreren Millionen Franc oder die Einstellung von Hunderten von Menschen zur Folge haben; für mich war das neu und ziemlich schwindelerregend. Ich phantasierte den ganzen Nachmittag ein wenig, aber Jean-Yves hörte mir aufmerksam zu. Er war überzeugt, wie er Valérie später anvertraute, daß ich ein paar zündende Ideen haben könne, wenn man mir nur volle Freiheit ließ. Kurz gesagt, ich steuerte eine kreative Note bei, und er fällte die endgültige Entscheidung; so sah er die Sache.
        Das Problem der arabischen Länder war im Nu geregelt. Angesichts ihrer unsinnigen Religion schien jede Aktivität sexueller Art ausgeschlossen. Die Touristen, die sich für diese Länder entschieden, mußten sich also mit den zweifelhaften Freuden der Abenteuerreisen begnügen. Jean-Yves war sowieso entschlossen, Agadir, Monastir und Djerba abzugeben, da sie zu hohe Verluste machten. Blieben noch zwei Reiseziele, die sich durchaus in die Rubrik »Abenteuer« einreihen ließen. Die Urlauber in Marrakesch würden ein bißchen auf Kamelen reiten. Und die Gäste in Sharm el Sheikh konnten die Goldfische beobachten oder Ausflüge in die Wüste Sinai unternehmen; zum flammenden Busch, wo Moses »ausgerastet ist«, wie ein Ägypter so schön sagte, den ich drei Jahre zuvor bei einer Fahrt auf einer Feluke im Tal der Könige kennengelernt hatte. »Sicher«, hatte er emphatisch ausgerufen, »dort findet man eine eindrucksvolle Anhäufung von Steinen ... Aber wie kann man daraus nur auf die Existenz eines einzigen Gottes schließen!...« Dieser kluge und oft witzige Mann schien eine gewisse Zuneigung zu mir gefaßt zu haben, vermutlich weil ich der einzige Franzose in der Gruppe war und er aus dunklen kulturellen oder gefühlsmäßigen Gründen eine alte Leidenschaft, die inzwischen allerdings einen eher theoretischen Charakter angenommen hatte, für Frankreich hegte. Dadurch, daß er das Wort an mich richtete, hatte er buchstäblich meine Ferien gerettet. Er war um die Fünfzig, stets tadellos gekleidet, hatte eine sehr dunkle Gesichtsfarbe und trug einen kleinen Schnurrbart. Er hatte Biochemie studiert und war direkt nach seiner Ausbildung nach England ausgewandert, wo er auf dem Sektor der Gentechnik eine glänzende Karriere gemacht hatte. Er war zu Besuch in seinem Heimatland, für das er, wie er behauptete, immer noch eine ungebrochene Zuneigung hegte, für den Islam dagegen hatte er nur harsche Worte übrig. Vor allem wollte er mich davon überzeugen, daß die Ägypter keine Araber sind. »Wenn ich daran denke, was dieses Land alles erfunden hat...« rief er und zeigte mit weit ausholender Geste auf das Niltal. »Die Architektur, die Astronomie, die Mathematik, die Landwirtschaft, die Medizin ...« Er übertrieb etwas, aber er war eben ein Orientale und wollte mich rasch überzeugen. »Und seit dem Aufkommen des Islam nichts mehr: Das absolute geistige Nichts, die totale Leere. Wir sind zu einem Land von verlausten Bettlern geworden. Bettler voller Läuse, das sind wir inzwischen. Lumpenpack, Lumpenpack!...» Er verscheuchte mit einer wütenden Geste ein paar Kinder, die uns um Münzen anbettelten. »Sie dürfen nie vergessen, chef monsieur (er sprach fließend fünf Fremdsprachen: Französisch, Deutsch, Englisch, Spanisch und Russisch), daß der Islam mitten in der Wüste entstanden ist, inmitten von Skorpionen; Kamelen und allen möglichen wilden Tieren. Wissen Sie, wie ich die Muslime nenne? Die elenden Kerle aus der Sahara. Das ist der einzige Name, den sie verdienen. Glauben Sie, der Islam hätte in solch einer

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