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große junge Schwarze mit langen, schlanken Beinen, die bestimmt noch nicht über zwanzig war. Er wirkte einen Augenblick verlegen, dann kam er mit einem leichten Lächeln an unseren Tisch und stellte uns Angelina vor.
»Ich habe über deine Idee nachgedacht«, sagte er ohne Umschweife. »Das einzige, was mir dabei ein bißchen Angst macht, ist die Reaktion der Feministinnen. «
»Es werden auch Frauen unter den Gästen sein«, entgegnete Valérie.
»Glaubst du?«
»Ja, ich bin mir sogar sicher...«, sagte sie ein wenig bitter. » Schau dich doch nur mal um. «
Er warf einen Blick auf die Tische am Swimmingpool: Dort saßen allerdings zahlreiche alleinreisende Frauen in Begleitung von Kubanern; fast genauso viele wie alleinreisende Männer in der entsprechenden Situation. Er stellte Angelina eine Frage auf spanisch und übersetzte uns die Antwort:
» Sie ist seit drei Jahren jinetera und hat vor allem italienische und spanische Kunden. Sie meint, das liege daran, daß sie schwarz ist: Die Deutschen und die Angelsachsen begnügen sich mit einem Mädchen des Latina-Typs, für die ist das schon exotisch genug. Sie hat viele Freunde, die jineteros sind: Sie ha
ben vor allem englische und amerikanische Kundinnen, aber auch ein paar deutsche. «
Er trank einen Schluck Kaffee und überlegte eine Weile:
»Und wie sollen wir die Clubs nennen? Es muß etwas sein, das irgendwie suggestiv wirkt, etwas ganz anderes als > Eldorador Abenteuer <, aber es darfauch nicht zu eindeutig sein. «
» Ich hatte an > Eldorador Aphrodite < gedacht«, sagte Valérie.
»>Aphrodite<...«. Er wiederholte das Wort nachdenklich. »Das ist nicht schlecht; das ist nicht so vulgär wie >Venus<. Erotisch, kultiviert und einbißchen exotisch: Ja, das gefällt mir.«
Eine Stunde später fuhren wir nach Guardalavaca zurück. Ein paar Meter vor dem Kleinbus verabschiedete sich Jean-Yves von der jinetera; er wirkte ein wenig traurig. Als er in das Fahrzeug stieg, bemerkte ich, wie das Studentenpaar ihm feindselige Blicke zuwarf; dem Weinhändler dagegen schien das völlig egal zu sein.
Die Zeit danach war ziemlich trübselig. Natürlich gab es die Karaoke-Abende und man konnte tauchen oder bogenschießen; erst ermüden die Muskeln, dann lockern sie sich, man schläft schnell ein. Ich erinnere mich überhaupt nicht mehr an die letzten Tage des Aufenthalts und auch nicht mehr richtig an den letzten Ausflug, bis auf die Tatsache, daß die Languste zäh wie Gummi und der Friedhof enttäuschend war. Dabei befand sich dort das Grab von José Marti, dem Vater der Nation, dem Dichter, Politiker, Polemiker und Denker. Ein Basrelief stellte ihn mit seinem Schnurrbart dar. Sein mit Blumen bedeckter Sarg ruhte auf dem Boden einer runden Grabstätte, in deren Wände seine bekanntesten Gedanken - über die nationale Unabhängigkeit, den Widerstand gegenüber der Tyrannei, das Gerechtigkeitsgefühl - eingraviert waren. Dennoch hatte man nicht den Eindruck, daß sein Geist an diesem Ort weilte; der arme Mann schien ganz einfach tot zu sein. Das soll jedoch nicht heißen, er sei ein unsympathischer Toter ; man hatte eher Lust, ihn kennen
zulernen, auch wenn man seinem etwas engstirnigen humanistischen Ernst mit etwas Ironie begegnen mochte. Aber es schien nicht möglich zu sein, er schien tatsächlich ganz und gar der Vergangenheit anzugehören. Würde er sich erneut erheben können, um das Vaterland wachzurütteln und es zu neuen Fortschritten des menschlichen Geistes mitzureißen? Kaum vorstellbar. Kurz gesagt, die Sache war kläglich gescheitert, wie alle nicht kirchlichen Friedhöfe war auch dieser mißlungen. Es war wirklich ärgerlich, daß die Katholiken es als einzige geschafft hatten, ein gut funktionierendes Begräbnisritual auf die Beine zu stellen! Auch wenn der Trick, den sie benutzten, um den Tod als etwas Herrliches, Ergreifendes erscheinen zu lassen, darin bestand, ihn schlicht und einfach zu negieren. Wenn das nicht ein Argument ist! Aber hier hätte man in Ermangelung des wiederauferstandenen Christus Nymphen und Hirtenmädchen gebraucht, mit anderen Worten: ein bißchen Sex. So wie der arme José Marti hier untergebracht war, konnte man ihn sich nicht beim Schäkern auf den Wiesen im Jenseits vorstellen ; er vermittelte eher den Eindruck, unter der Asche ewiger Langeweile begraben zu sein.
Am Tag nach unserer Rückkehr trafen wir uns in Jean-Yves'
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