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bei dem Versuch, mir ein Päckchen Zigaretten zu angeln.
» Du warst ganz schön besoffen... «
»Ja, aber was ich zu Jean-Yves gesagt habe, war ernst gemeint.«
»Ich glaube, so hat er das auch verstanden...« Sie streichelte mir mit den Fingerspitzen den Bauch. »Außerdem glaube ich, daß du recht hast. Die sexuelle Befreiung in den westlichen Ländern ist wirklich vorbei.«
» Und weißt du auch warum?«
»Nein...« Sie zögerte, dann fuhr sie fort: »Nein, eigentlich nicht.«
Ich zündete mir eine Zigarette an, lehnte mich auf die Kopfkissen zurück und sagte : » Blas mir einen. « Sie blickte mich überrascht an, legte aber die Hand auf meine Eier und beugte den Kopf hinab. »Das ist es!« rief ich mit triumphierender Miene. Sie hielt inne und blickte mich überrascht an. » Siehst du, ich sage zu dir: »Blas mir einen«, und du bläst mir einen, obwohl du eigentlich gar nicht das Verlangen hattest, es zu tun. «
»Nein, ich habe nicht daran gedacht; aber es macht mir Freude.«
»Das ist ja so erstaunlich an dir: Du machst gern anderen eine Freude. Und genau das haben die Menschen in unseren Breiten verlernt, sie können ihren Körper nicht mehr einem anderen Menschen als schönes Geschenk darbieten und ihm ganz einfach Lust verschaffen, ohne etwas dafür zu erwarten. Sie haben den Sinn für das Geben völlig verloren. Sie können sich noch so anstrengen, es gelingt ihnen nicht mehr, Sex als etwas Natürliches zu empfinden. Sie schämen sich nicht nur ihres eigenen Körpers, der nicht an den Standard der Pornofilrne herankommt, sondern aus den gleichen Gründen fühlen sie sich überhaupt nicht mehr vom Körper des anderen angezogen. Miteinander zu schlafen geht nicht ohne eine gewisse Selbstaufgabe und ohne wenigstens vorübergehend einen Zustand der Abhängigkeit und der Schwäche hinzunehmen. Der Gefühlsüberschwang und die sexuelle Zwangsvorstellung sind gleichen Ursprungs, beide beruhen darauf, daß man sich wenigstens zum Teil selbst vergißt; das ist kein Bereich, in dem wir uns verwirklichen können, ohne uns zu verlieren. Wir sind gefühlskalt und rational geworden, legen höchsten Wert auf unsere individuelle Existenz und unsere Anrechte; wir möchten vor allem Entfremdung und Abhängigkeit vermeiden; außerdem sind wir von Gesundheit und Hygiene besessen. Das sind nicht gerade
Idealbedingungen für das Liebesspiel. In der Situation, in der wir uns befinden, ist die Professionalisierung der Sexualität in den westlichen Ländern unvermeidbar geworden. Natürlich gibt es auch noch die SM-Praktiken. Das ist eine Welt, die nur über den Verstand läuft, mit genauen Regeln und zuvor erfolgter Zustimmung. Die Masochisten interessieren sich nur für ihre eigenen Empfindungen, sie versuchen zu sehen, wie weit sie den Schmerz vorantreiben können, ähnlich wie Extrem-Sportler. Mit den Sadisten ist die Sache anders, sie gehen in jedem Fall so weit wie möglich, sie haben den Wunsch zu zerstören : Wenn sie verstümmeln oder töten könnten, würden sie es tun. «
»Ich möchte nicht einmal mehr daran zurückdenken«, sagte sie erschauernd, » das widert mich wirklich an. «
»Weil du sexuell geblieben bist, animalisch. Du bist im Grunde normal, du hast mit den anderen Frauen der westlichen Länder wenig gemein. Die nach festen Regeln ablaufenden sadomasochistischen Praktiken können nur kultivierte Verstandesmenschen interessieren, auf die Sex keine Anziehung mehr ausübt. Für die anderen gibt es nur noch eine Lösung: Pornoprodukte und Prostituierte. Und wenn sie richtigen Sex haben wollen, die Länder der Dritten Welt. «
»Na gut...« Sie lächelte. »Kann ich dir jetzt trotzdem weiter einen blasen?«
Ich lehnte mich auf die Kopfkissen zurück und ließ sie gewähren. Mir war in diesem Augenblick undeutlich bewußt, daß ich mit meiner Idee etwas ganz Neues hervorbrachte: Ich war mir sicher, daß ich vom wirtschaftlichen Standpunkt her recht hatte, ich schätzte die potentielle Kundschaft auf mindestens
80 % der westlichen Erwachsenen. Aber ich wußte, daß es den Leuten seltsamerweise manchmal schwerfällt, einfache Ideen zu akzeptieren.
10
Wir frühstückten neben dem Swimmingpool auf der Terrasse. Als ich gerade meinen Kaffee austrank, sah ich, wie Jean-Yves in Begleitung eines Mädchens, in dem ich eine der Tänzerinnen des Vorabends wiedererkannte, aus seinem Zimmer kam. Es war eine
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