Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
ältere Tiere schießen, die kaum mehr Zähne haben und ohnehin verhungern würden. Es gibt genug Jäger, die nicht wollen, dass Tiere leiden. Das sind Menschen wie ich, die ganz ungern auf Füchse schießen, weil sie so hundeähnlich sind. Wie Lohengrin. Ach, es ist alles so ein Jammer!«
»Aber Herr Bartholomä, dann sind Sie doch auf Reginas Linie!«
»Der Ton macht die Musik. Sie wollte zu viel, sie wollte es zu schnell, und drum hat dieser Schnösel von Brennerstein mindestens genauso viel positiven Zuspruch erhalten. Aber seine Gönner kommen aus den höchsten Kreisen. Das sind Alt-Ettaler, das ist die Elite von Hogau und Neubeuern. Das ist der alte Adel, das sind politisch präsente Familien. Mit denen legt man sich nicht an.«
Aber genau das hatte Regina getan, und nun war sie tot. Wald vor Wild, Ökonomie immer vor Tierschutz – Irmi war Landwirtin genug, um sich ein differenziertes Bild machen zu können und gleichzeitig zu wissen, dass diese Thematik uferlos war. Ihr eigener Wald wurde von einer Jagdgemeinschaft bejagt, und anscheinend machte die vieles richtig, denn Bernhard beklagte keinen Verbiss. Und obwohl Bernhard Rehe sicher auch nicht sonderlich mochte – Kuhbauern mochten nun mal nur Kühe und diese am liebsten, wenn sie gesund blieben und viel Milch gaben –, hätte er nie komplett rehfreie Wälder gefordert, und es war ihm jedes Mal arg, wenn er ein Rehkitz »dermaht« hatte.
Aber Bernhard vergaß so etwas wieder, nur Irmi nicht. Das tote Reh stand irgendwo in der Galerie der mandelbitteren inneren Bilder, die aufstanden wie Gespenster aus der Gruft, und zwar immer dann, wenn man sie am wenigsten brauchen konnte. Da waren Bilder ihrer überfahrenen Katzen, die sie als junges Mädchen von der Straße geholt hatte. Bilder von Wally, ihrer geliebten Hündin, bevor sie eingeschläfert worden war. Bilder von geschundenen Tieren standen auf, mit denen sie bei einem früheren Fall zu tun gehabt hatte, und es war ihr, als protestieren sie stumm. Die toten Menschen aus ihren Mordfällen standen viel seltener auf. Eigentlich merkwürdig.
Vielleicht lag es daran, dass es immer der Mensch war, der wie in einem groß angelegten Feldversuch die Erde zerstörte. Der Mensch benahm sich so, als kenne er den Ausgang seines Tuns noch gar nicht. Dabei war dieser Ausgang doch klar. Die Tiere und Pflanzen verloren immer, als erhaltenswert galt doch stets nur das, was wirtschaftlichen Nutzen brachte. Jeder schien sich aus der Schöpfung nur das herauszupicken, was ihm genehm war. Der Rest hatte keine Daseinsberechtigung. Immer und überall prallten die Interessensgruppen aufeinander und schossen scharf. In dem Fall wirklich scharf, und es war nur schwer festzumachen, wer die Guten und wer die Schlechten waren. Es war und blieb ein weites Feld, um den guten alten Fontane zu zitieren, dachte Irmi: Waldbesitzer, die Rehe hassten. Ein Staat, der Schädlinge jagte. Jäger, denen die Tiere am forstgrünen Poncho vorbeigingen, und andere, die Heger waren. Und es gab auch Tierschützer, die jagten. Es prallten so viele Meinungen aufeinander, keines der gängigen Klischees stimmte zur Gänze, und alle Beteiligten waren radikal. In die eine oder andere Richtung. Und Radikale gingen immer weit, mordsmäßig weit …
Es schien Veit Bartholomä nicht zu stören, dass Irmi immer wieder lange schwieg, im Gegenteil, das schien er mehr zu schätzen als ihre Fragerei. Und so sagte er sogar ganz freiwillig: »Marc von Brennerstein war kurz nach dem TV-Auftritt dann auch Geschichte in Reginas Leben, oder besser …«
»Besser was?«
»Regina hat sich von ihm getrennt, aber er wollte das nicht so recht einsehen. Er hat sie bedrängt. Angerufen. Ihr aufgelauert. Er war der Typ, der das Nein einer Frau als Ja interpretiert. Er hatte das Interview als Wettkampf gesehen, doch für Regina war eine Welt zusammengebrochen. Marc von Brennerstein musste nie erwachsen werden. Er ist so ein ewig Junggebliebener von der Marke goldenes Löffelchen und Zucker in den Arsch geblasen.«
»Wie lange hat er sie bedrängt? Bis jetzt?«, fragte Irmi.
»Ich weiß es nicht. Ich nehme es aber an. Ein von Brennerstein verliert nicht. Regina konnte – so voranpreschend sie auch wirkte – sehr verschwiegen sein. Sie hat viel in sich selbst eingeschlossen, und ich glaube, dass niemand wirklich das Innerste von Regina kannte.«
»Auch Sie nicht? Sie kannten sie ein Leben lang, Herr Bartholomä!«
»Ich auch nicht. Nein, wirklich nicht.«
Irmi
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