Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
verneinend den Kopf.
»Wenn sie’s noch mal macht«, fragt er, »machst du ihr dann Aua?« Ich hole Luft. Am allerliebsten auf der Welt würde ich ja zu ihm sagen, aber ich kann das nicht riskieren. Wenn sie was machen würden, dass ich ihn nicht mehr sehen kann, würde ich sterben.
»Am liebsten möchte ich«, sage ich zu ihm, »am allerliebsten auf der Welt möchte ich ihr wehtun. Sie noch fester hauen, als dass sie bloß weint. Nicht nur die Oma. Jeden, der dir was Böses tut.«
»Wie das Mädchen in dem Park?«, fragt er mit leuchtenden Augen.
»Wie das Mädchen in dem Park«, nicke ich, »aber Mama mag es nicht, wenn Papa haut, und wenn ich Oma schlage oder jemand anderen, lassen sie mich nicht mehr kommen, um mit dir zu spielen. Und das alles machen, was wir machen. Verstehst du?« Mein kleiner Roi antwortet nicht. Das Eis tropft ihm auf die Hose. Er macht das absichtlich, wartet darauf, dass ich eingreife. Aber ich tu’s nicht.
»Ich mag das nicht, allein im Zimmer«, sagt er nach einem langen Schweigen.
»Ich weiß«, nicke ich, »aber ich kann das nicht stoppen. Nur du kannst das. Und ich möchte dir beibringen, wie.« Ich erkläre meinem kleinen Roi, was genau er tun muss, wenn die Alte ihn einsperrt. Mit welchem Teil vom Kopf er gegen die Wand stoßen muss, so dass es Spuren hinterlässt, aber ohne dass er sich wirklich verletzt.
»Und tut das dann weh?«, fragt er. Und ich sage zu ihm, ja. Ich werde ihn nie im Leben anlügen, nicht wie Schani. Als wir noch zusammen waren, sind wir zur Kleinkindstation gegangen, um Impfungen machen zu lassen. Den ganzen Weg hat sie ihn mit Stichen und Bienen und Überraschungen vollgequasselt, bis ich sie mitten im Satz kurzgeschlossen und gesagt habe, dass dort eine Frau mit einer Nadel sein wird, die wird meinem kleinen Roi wehtun, aber es geht nicht anders, das muss sein. Und mein kleiner Roi, der kaum zwei Jahre alt war, hat mich mit diesem gescheiten Blick angeschaut, hat alles verstanden. Als wir dort das Zimmer betraten, war er ganz verkrampft, aber er hat sich nicht gewehrt und nicht versucht davonzulaufen. Trug es wie ein kleiner Mann.
Ich gehe mit ihm das Ganze durch. Was er zu Schani nachher sagen muss. Wie er die Oma aufgeregt hat und wie sie ihn mit Gewalt gegen die Wand geschubst hat. Wie er einen Schlag abgekriegt hat. »Und tut das dann weh?«, fragt er am Schluss noch einmal.
»Es wird wehtun«, sage ich ihm, »ein Mal. Aber danach wird sie dich nie mehr allein im Zimmer einsperren.« Mein kleiner Roi schweigt jetzt. Er denkt nach. Das Eis ist schon weg. Er schleckt den Stiel ab.
»Und Mama wird nicht sagen, dass ich bloß was erfinde?«, fragt er.
»Wenn der Fleck am Kopf groß genug ist«, ich streiche ihm über die Stirn, »dann sagt sie das nicht.« Danach fahren wir mit dem Auto noch mal auf den Parkplatz. Mein kleiner Roi lenkt, und ich drücke aufs Gas und auf die Bremse. Ich zeige meinem kleinen Roi, wie man hupt, und das bringt ihn außer Rand und Band. Er hupt und hupt und hupt, bis der Parkplatzwächter kommt und bittet, dass wir damit aufhören. Es ist so ein alter Araber. Ich kenne ihn.
»Lass nur«, ich zwinkere ihm zu und stecke ihm einen Zwanziger zu, »der Junge spielt ein bisschen, wen stört das schon? Noch ein paar Minuten, und wir gehen.« Der Araber sagt nichts. Nimmt den Schein und fängt an, zu seiner Bude zurückzugehen.
»Was wollte der Mann?«, fragt mein kleiner Roi.
»Nichts«, sage ich zu ihm, »nur so, er hat nicht verstanden, woher der Krach kommt.«
»Und kann ich jetzt noch mal hupen?«, schaut er mich mit seinen riesigen braunen Augen an.
»Klar kannst du, mein Schatz«, ich küsse ihn, »öfter als einmal. Eine Menge. So viel, wie du willst.«
Pudding
Diese ganze Geschichte mit Avischai Avudi hätte, meiner Meinung nach, bei uns allen ein rotes Licht aufleuchten lassen müssen. Ein anständiger Mensch, alles in allem, ganz normal, der kein Petroleum trinkt und kein Glas frisst. Und eines Tages klopfen zwei an seine Tür, schleifen ihn die ganze Treppe hinunter, stecken ihn hinten in irgendeinen Lieferwagen und fahren ihn zum Haus seiner Eltern. »Wer seid ihr?«, fragt Avudi sie erschrocken. »Was wollt ihr?«
»Das ist keine gute Frage«, sagt der Fahrer, und der neben ihm nickt. »Eine gute Frage ist, wer du bist und was du willst.« Daraufhin lachen die beiden, als sei das ein Witz.
»Ich bin Avischai Avudi«, sagt Avischai in einem Ton, der sich drohend anhören soll, »und ich will mit euren
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