Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
Vorgesetzten reden, hört ihr?« Die zwei parken den Lieferwagen nun im Hof des Hauses seiner Eltern und drehen sich zu ihm um. Avischai ist sich sicher, dass sie ihn gleich zusammenschlagen werden und dass er das nicht verdient hat, dieses ganze Ding. Nur zu wahr, er hat es echt nicht verdient.
»Da habt ihr euch was eingebrockt«, sagt er zu ihnen, als sie ihn aus dem Lieferwagen ziehen, während er gleichzeitig sein Gesicht schützt, »ihr habt ja keine Ahnung, auf was ihr euch da eingelassen habt.« Aber die Wahrheit ist, dass sie ihn gar nicht schlagen. Avischai kann nicht wirklich sehen, was sie machen, weil er seine Hände vorm Gesicht hat, aber er kann es spüren. Und was er spürt, ist, dass sie ihm die Kleider ausziehen – nichts Sexuelles, was absolut Korrektes –, und nachdem sie damit fertig sind, ihn wieder neu anzuziehen, hängen sie ihm irgendeine schwere Tasche auf den Rücken und sagen: »Jalla, los, jetzt lauf heim, zu Mama und Papa. Damit du nicht zu spät kommst.« Und Avischai rennt, so schnell er nur kann. Er nimmt immer gleich drei Stufen auf einmal, bis er an der braunen Holztür seiner Elternwohnung angelangt ist. Er pumpert keuchend dagegen, und als seine Mutter aufmacht, geht er ganz schnell hinein, wirft die Tür hinter sich zu und sperrt sie zweimal ab.
»Was hast du denn?«, fragt seine Mutter. »Warum schwitzt du so?«
»Bin gerannt«, schnauft Avischai, »auf der Treppe. Leute. Nicht aufmachen.«
»Ich verstehe gar nichts«, sagt seine Mutter, »aber egal. Komm, nimm den Ranzen ab, und wasch dir das Gesicht und die Hände. Das Essen ist schon fertig.«
Avischai nimmt die Schultasche herunter, geht ins Bad und wäscht sich das Gesicht. Im Spiegel über dem Waschbecken sieht er, dass er sein »Ora«-Schulhemd anhat. Als er den Ranzen im Wohnzimmer aufmacht, entdeckt er darin Hefte und Bücher in geblümten Papiereinbänden. Ein Heimatkundeheft für die Feste, ein Rechenkasten, Herschkos Rechenlehrbuch für Anfänger.
»Lass jetzt die Hausaufgaben«, mahnt ihn seine Mutter, »komm essen. Na los jetzt, schnell, bevor die ganzen Vitamine aus dem Salat verdunsten.« Avischai setzt sich an den Tisch und isst still. Das Essen schmeckt gut. Er hat schon seit so vielen Jahren in Take-aways und Restaurants gegessen, dass er sich gar nicht mehr daran erinnert, dass Essen einen solchen Geschmack haben kann.
»Papa hat dir Geld für den Kurs dagelassen.« Seine Mutter deutet zu einem weißen verschlossenen Umschlag hin, der auf dem kleinen Tisch in der Diele liegt, neben dem Telefon mit der Wählscheibe. »Aber ich sag’s dir, Avi, wenn das noch mal so wie mit den Modellflugzeugen ist, dass du’s dir nach einer Stunde wieder anders überlegst, dann sagst du’s besser jetzt gleich. Vorm Bezahlen.«
Avischai denkt sich: Das ist nur ein Traum. Und danach sagt er: »Ja, Mama«, denn auch wenn es ein Traum ist, heißt das nicht, dass man unhöflich sein muss. Er denkt sich: Wenn ich nur wollte, könnte ich jeden Moment aufwachen. Nicht dass er wüsste, was man genau macht, um mitten im Traum aufzuwachen. Man kann sich selber zwicken, aber das ist meistens andersrum, das macht man, um festzustellen, ob man wach ist. Vielleicht könnte er den Atem anhalten oder ganz einfach zu sich selber sagen: Wach auf! Wach auf! Oder vielleicht würde sich, wenn er sich schlicht weigerte, das alles um ihn herum zu akzeptieren, wenn er es in Zweifel ziehen würde, das Ganze plötzlich in Luft auflösen. Wie auch immer, kein Stress. Man kann ja zuerst mal fertig essen und sich erst nachher selber aufwecken. Und auch nach dem Essen ist es nicht wirklich dringend. Er kann erst noch in den Kurs gehen – echt spannend, was für ein Kurs das wohl ist – und danach, falls es noch hell ist, am »Ora«-Schulplatz ein bisschen Fußball spielen. Und erst wenn Papa von der Arbeit kommt, erst dann aufwachen. Oder es sogar noch ein, zwei Tage hinausschieben, bis vor irgendeiner besonders schweren Prüfung.
»Woran denkst du die ganze Zeit?« Seine Mutter streichelt den Ansatz seiner Glatze. »So viele Gedanken schwirren hinter deinen runden Augen herum, dass ich vom bloßen Hinschauen schon müde werde.«
»Ich hab an den Nachtisch gedacht«, schwindelt Avischai, »ob es Jelly oder Pudding gibt.«
»Was möchtest du denn am liebsten?«, fragt seine Mutter.
»Pudding«, bettelt Avischai.
»Der ist schon fertig«, sagt seine Mutter erfreut und öffnet den Kühlschrank. »Aber wenn du’s dir anders überlegst,
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