Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etgar Keret
Vom Netzwerk:
entschuldige«, entschuldigte sich Ronald gedankenlos und versuchte Ranana, die jetzt den Fernseher lauter gestellt hatte, die Fernbedienung aus der Hand zu schnappen.
    »Es ist wegen deinem Hund«, setzte Niva nach kurzem Schweigen hinzu, »er ist ausgerissen.«

    Wenn ein Hund die Gitterstäbe des Badezimmerfensters mit einer Laubsäge durchsägt und sich danach mit Hilfe von aneinandergeknoteten Bettlaken aus dem Fenster abseilt, kann man sagen, dass er »ausgerissen« ist. Wenn man mit ihm aber auf der Straße spazieren geht, ohne dass er angeleint ist, und nach einer Stunde entdeckt, dass er nicht mehr in der Gegend ist, handelt es sich um persönliche Fahrlässigkeit, so dass es nicht fair war, die Verantwortung dafür auf Schachira abwälzen zu wollen.
    »Er hat sicher an irgendeinem Randstein oder einem Denkmal geschnüffelt, und als er plötzlich den Kopf hob, hat er gesehen, dass du nicht mehr da bist«, sagte Ronald in anklagendem Ton zu Niva, als sie beide die King-George-Straße entlangmarschierten und den Verlauf dieses verhängnisvollen Abendspaziergangs zu rekonstruieren versuchten. »Sag ich dir nicht immer, dass man Augenkontakt mit ihm halten muss?«
    »Sag mal«, schnaubte Niva und warf sich mitten auf der Straße in die Pose einer Ehepartnerin, die gleich eine Szene vom Zaun brechen wird, »was genau versuchst du damit zu behaupten, dass ich kein ausreichend gutes Kindermädchen für deinen stinkigen Hund bin? Dass ich mit ihm nicht nach den Regeln der internationalen Gassigängerorganisation für Blindenhunde spazieren gehe? Wenn du statt mit deiner … dich mit deinen Deutschen zu verlustieren zu Hause gewesen wärst, hättest du selber mit ihm runtergehen können, und das alles wäre nicht passiert.«
    Ronald hätte jetzt loslegen können, wie er sich bis zu später Stunde den Arsch aufriss, um sie beide zu ernähren, doch er schwieg lieber. Eines der ersten Dinge, die er in der Geschäftswelt gelernt hatte, war, sich vor dem Punkt zu hüten, wo keine Umkehr mehr möglich war, sich so viele Optionen wie möglich offenzulassen. Was oftmals bedeutete, nicht das zu sagen und zu tun, wonach es einen gelüstete. Jetzt zum Beispiel verspürte er echt ungemeine Lust, Niva ans Knie zu treten. Nicht angedeutet, sondern ihr einen Tritt mit aller Kraft zu verpassen. Sowohl weil sie Schachira verloren hatte, als auch weil sie es vermied, den Hund bei seinem Namen zu nennen und ihn auch noch als stinkig bezeichnete, hauptsächlich aber wegen ihres Benehmens, als sei diese ganze Tragödie eine Strafe, die Ronald vom Himmel ereilte, und nicht der menschliche Fehler einer egozentrischen und absolut verantwortungslosen Frau. Jedoch ihr mit aller Gewalt gegen das Knie zu treten, hätte, wie erwähnt, bedeutet, Optionen zu verschließen. Also schlug er ihr stattdessen vor, mit jener entspannten Losgelöstheit, die sich häufig bei Mördern zeigt, während sie den Schauplatz des Verbrechens bereinigen und sich der Leiche ihres Opfers entledigen, dass sie nach Hause gehen und dort warten solle für den Fall, dass jemand mit irgendeiner Information hinsichtlich Schachiras anrufen sollte.
    »Aber wer soll denn anrufen?«, lachte Niva. »Dein dummer Hund von einem öffentlichen Telefon aus? Vielleicht seine Entführer, um Lösegeld zu fordern? Auch wenn ihn jemand findet, er wird doch nie im Leben unsere Telefonnummer wissen.«
    »Ich denke trotzdem, dass es günstiger ist, wenn wir uns aufsplitten«, beharrte Ronald, während er ernsthaft erwog, die alte Geschäftsdevise, die ihn so viele Jahre lang getreulich begleitet hatte, zu verraten und Niva trotz allem einen Tritt zu verpassen.

    Ronald lehnte an einem gelben Briefkasten direkt gegenüber der Mezudat Ze’ev und studierte die Liste, die er gerade fertiggestellt hatte, auf der Rückseite des Rechnungsbelegs des Restaurants, in dem er mit Ranana an diesem Abend gegessen hatte. Die Überschrift der Liste lautete »Orte, die Schachira liebt(?)«. Er wusste es sich selber nicht zu erklären, weshalb er in Klammern ein Fragezeichen dahinter gesetzt hatte. Vielleicht weil er das Gefühl hatte, dass es, wenn es in der Überschrift keinerlei fraglichen Aspekt gebe, so wäre, als erkläre er sich selbst auf uneingeschränkte Weise zum Interpreten von Schachiras Herzenssehnsüchten, wogegen Ronald doch unzählige Male sich und anderen eingestanden hatte, dass er Schachira nicht immer verstand. Warum bellte er manchmal und blieb ein andermal still? Warum fing er mit

Weitere Kostenlose Bücher