Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
das sei schon in Ordnung, und unterschrieben. Es brachte ihn dazu, sich ein bisschen wie ein Schuft zu fühlen, dieses Weinen, obwohl es das echteste Weinen der Welt war.
»Starker Verkehr auf der Autobahn«
An irgendeinem Wochenende, als sie mit ihrer Tochter von einem Besuch bei den Eltern seiner Frau im Kibbuz zurückkehrten, fuhren sie an zwei völlig zerquetschten Autos vorbei. Die Wagen vor ihnen wurden langsamer, während sie die Unfallstelle passierten, und seine Frau sagte, das sei widerlich, nur in Israel würden sich die Leute so benehmen. Das Mädchen, das hinten schlief, wachte von den Ambulanzsirenen auf, drückte sein Gesicht ans Fenster und schaute einen blutüberströmten, bewusstlosen Mann an, der auf einer Bahre fortgetragen wurde. Sie fragte, wohin sie diesen Mann brachten, und Oschri antwortete ihr, sie würden ihn an einen guten Ort bringen. Einen Ort mit Farben, Geschmack und Gerüchen, die man sich überhaupt nicht ausmalen könne. Er erzählte ihr von diesem Ort, davon, dass dein Körper dort kein Gewicht hat und wie sich, eben weil du so absolut gar nichts willst, alles einfach verwirklicht. Dass es dort keine Ängste gibt und sogar der Schmerz, wenn er einsetzt, zu etwas wird, das statt zu quälen einfach noch ein Gefühl mehr ist, über das du zutiefst dankbar bist, dass du es empfinden kannst. Er redete und redete, bis er den zornigen Blick seiner Frau bemerkte. Im Radio meldeten sie starken Verkehr auf der Autobahn, und als er wieder in den Spiegel spähte, sah er, wie Meital lächelte und dem Mann auf der Bahre zum Abschied zuwinkte.
Ilan
Meine Freundin, wenn sie kommt, schreit »Ilan«. Nicht einmal, ganz oft. »Ilan-Ilan-Ilan-Ilan!« Was total in Ordnung ist, denn mein Name ist tatsächlich Ilan. Aber manchmal hätte ich ganz gern, dass sie etwas anderes sagt. Egal was. »Mein Geliebter.« »Mach mich alle.« »Hör auf, ich kann nicht mehr.« Sogar einfach bloß »Mama«. Etwas anderes, Situationstypischeres. Irgendwas, das ein etwas fokussierteres Gefühl kommuniziert.
Meine Freundin studiert Jura an der Fachhochschule. Sie wollte an die Universität, aber sie haben sie nicht genommen. Sie plant, sich in Vertragsrecht zu spezialisieren. So was gibt’s, ein Anwalt, der sich nur mit Verträgen abgibt. Keine Leute trifft, nicht zum Gericht geht, nur den ganzen Tag dasitzt und auf Papier geschriebene Zeilen anschaut, als sei das die Welt. Als ich die Wohnung gemietet habe, ist sie mitgekommen und hat innerhalb einer Minute gespannt, dass uns der Wohnungsbesitzer irgendeinen Paragraphen reindrücken wollte. Mir wäre das nie im Leben aufgefallen, aber sie hat es in einer Sekunde geschnallt. Scharf wie ein japanisches Messer, meine Freundin. Und wie sie kommt. In meinem ganzen Leben hab ich so was noch nicht gesehen. Fliegt in alle Richtungen, tobt total herum. Wie jemand, der einen Stromschlag kriegt. Sie hat auch solche unkontrollierbaren Zuckungen, im Gesicht, am Hals, an den Fußsohlen. Als ob ihr ganzer Körper versucht, danke zu sagen, und nicht weiß, wie.
Einmal habe ich sie gefragt, was sie denn immer gesagt hat, wenn sie mit anderen Männern kam, vor mir. Und sie schaute mich mit einem überraschten Blick an und sagte, dass sie bei allen, wenn sie kam, »Ilan« gesagt hat. Nur »Ilan«. Ich blieb beharrlich und fragte, was sie denn bei denen gesagt hat, die nicht Ilan hießen, wenn sie kam, und sie dachte einen Moment nach und meinte, dass sie nie mit jemandem gevögelt habe, der nicht Ilan hieß. Mit achtundzwanzig Männern sei sie schon zusammen gewesen, einschließlich mir, und alle, wenn sie jetzt so darüber nachdenke, hätten Ilan geheißen. Nachdem sie das gesagt hatte, schwieg sie. »Das ist ja ein geiler Zufallstreffer«, ließ ich fallen, »oder vielleicht suchst du uns danach aus, als Ilans.«
Sie erwiderte nachdenklich: »Vielleicht.«
Ab diesem Tag begann ich, mir der ganzen Ilans um mich herum bewusster zu werden: der eine von der Bank, der Rechnungsprüfer, der eine, der immer in der Früh in unserem Café sitzt und mich bittet, ihm den Sportteil rüberzureichen. Ich fing nichts damit an, ich notierte mir nur im Kopf Ilan+Ilan+Ilan. Denn tief drinnen wusste ich, wenn sich das Böse zusammenbrauen würde, falls es das würde, käme es von einem von ihnen. Komisch, aber so viel habe ich euch schon von meiner Freundin erzählt und nicht einmal ihren Namen gesagt. Als ob er überhaupt nicht wichtig sei. Er ist auch wirklich nicht wichtig. Wenn ihr mich mitten
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