Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
ihrer Migräne endete, und jetzt, als ihn diese magersüchtige Französin ankeifte, verspürte er plötzlich Sehnsucht.
»My wife«, sagte er zu der Französin, während er ihr vorführte, wie er die Zigarette in die Packung zurücksteckte, »also don’t like me to smoke.«
»No English«, wehrte die Französin ab.
»You«, beharrte er, »same age as my daughter. You should eat more. It’s not healthy.«
«No English«, wiederholte die junge Frau ihre Worte, doch ihre hochgezogenen Schultern gaben preis, dass sie jedes Wort verstanden hatte.
»My daughter lives in Marseille«, fuhr er fort. »She is married to a doctor. An eye doctor, you know«, sagte er und deutete auf eines ihrer grünen Augen, die panisch zwinkerten.
Sogar der Kaffee in ihrem Zug war um drei Klassen besser als alles, was man in Giv’atajim jemals finden konnte. Keine Rede, wenn es zum Geschmack kam, steckten diese Franzosen – getilgt-sei-ihr-Name – alle in die kleine Tasche. Nach einer Woche in Marseille wollten seine Hosen schon nicht mehr zugehen. Zahava hatte ihn gedrängt, noch zu bleiben. »Wozu hast du es denn so eilig?«, hatte sie gefragt. »Jetzt wo Mama tot ist und du in Rente bist, bist du doch ganz allein dort.« »Rente« und »allein« – diese beiden Worte hatten etwas derart Offenes, dass er, als sie sie aussprach, regelrecht den Wind spürte, der ihm das Gesicht streichelte.
Die Arbeit im Geschäft hatte er nie wirklich geliebt, und Chalina – sagen wir mal, er hatte einen warmen Fleck für sie, doch wie der Holzschrank in ihrem winzigen Schlafzimmer nahm sie dermaßen viel Raum ein, dass neben ihr für nichts mehr sonst Platz blieb. Das Erste, was er machte, nachdem sie tot war, war, Alte Sachen zu bestellen, um den Schrank loszuwerden. Den Nachbarn, die interessiert verfolgten, wie der Riesenschrank mit Gurten aus dem dritten Stock hinuntergelassen wurde, erklärte er, dass er ihn allzu sehr an die Tragödie erinnere. Ohne ihn wurde das Zimmer plötzlich geräumig und auch viel heller. So viele Jahre lang hatte dieser Schrank dort gestanden, dass er es fertiggebracht hatte zu vergessen, dass sich dahinter ein Fenster verbarg.
Im Zugbistro saß ihm eine etwa siebzigjährige Frau gegenüber. Sie war einmal schön gewesen, und jetzt tat sie alles in ihrer Macht Stehende, um ihre Umgebung daran zu erinnern, allerdings mit delikatem Geschmack, angedeutet mit einer Linie von Schmink- und Lippenstift, ach … wenn ihr mich nur vor vierzig Jahren getroffen hättet .
Neben ihr, auf der Ablage, die für die Esstabletts vorgesehen war, saß ein Hund, ein kleiner Pudel, auch er geschmackvoll mit einem hellblauen Pullover ausstaffiert. Der Pudel starrte ihn mit riesigen, irgendwie vertrauten Augen an. »Chalina?«, dachte er halb entsetzt bei sich. Der Pudel bellte einmal kurz und bestätigend. Die alte Dame schenkte ihm ein freundliches Lächeln, das zu sagen versuchte, er brauche keine Angst zu haben. Der Pudel ließ ihn nicht aus den Augen.
»Ich weiß, dass dieser Schrank nicht aus Versehen auf mich gefallen ist«, sagten die Augen, »ich weiß, dass du ihn umgeworfen hast.« Er zog rasch an der Zigarette und gab der alten Dame ein nervöses Lächeln zurück. »Ich weiß auch, dass du mich nicht töten wolltest, dass es bloß ein Reflex war. Ich hätte dich nicht bitten sollen, die Winterkleidung wieder herunterzuholen.« Sein Kopf nickte wie von selbst – anscheinend auch ein Reflex. Wäre er ein anderer gewesen, weniger hart, hätten ihm schon Tränen in den Augen gestanden. »Geht’s dir jetzt gut?«, fragten die Augen des Pudels.
»Geht so«, er erwiderte den Blick, »es ist hart allein. Und du?«
»Nicht übel«, der Pudel riss sein Maul zu fast einem Lächeln auf, »meine Herrschaft sorgt für mich, sie ist eine gute Frau. Wie geht es dem Mädchen?«
»Ich komme gerade von ihr zurück. Sie schaut fabelhaft aus. Und Gilbert ist endlich einverstanden, dass sie probieren, ein Kind zu kriegen.«
»Das freut mich«, wedelte der Pudel mit seinem Stummelschwänzchen, »aber du, du musst dich mehr um dich selber kümmern. Du bist dick geworden, und du rauchst zu viel.«
Darf ich?, fragte er die alte Dame ohne Worte, während er in der Luft eine streichelnde Bewegung illustrierte. Die alte Dame nickte lächelnd. Er streichelte Chalina am ganzen Körper, und danach beugte er sich hinunter und gab ihr einen Kuss. »Es tut mir leid«, sagte er mit brüchiger, tränenerfüllter Stimme, »es tut mir leid.
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