Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
Bewegung, von der Sergej wusste, dass sie der Fisch nur machte, wenn er wirklich aufgeregt war. Er begriff, dass der Fisch bereits seine Freiheit witterte. Nach dem letzten Wunsch würde Sergej keine andere Wahl haben, er müsste ihn freilassen.
»Das kommt alles in Ordnung, wirklich«, sagte Sergej halb zu dem Fisch, halb zu sich selber, »ich muss hier bloß das Blut aufwischen, und in der Nacht, wenn ich zum Fischen rausfahre, bind ich ihn an einen Stein und werf ihn ins Meer. Den findet nie jemand. Das war’s. Ich werd doch keinen Wunsch da dran verschwenden.«
»Du hast einen Menschen getötet, Sergej«, sprach der Fisch, »aber du bist nicht wirklich ein Mörder. Wenn du dafür keinen Wunsch verschwenden willst, wofür dann?«
*
Nicht in Taijba, aber in Tira fand Jonathan endlich den Araber, der Frieden als einen Wunsch nannte. Er hieß Munir, war dick, hatte einen riesigen weißen Schnauzbart und eignete sich ganz wunderbar zum Fotografieren. Es war bewegend, die Art, wie er es formulierte. Schon während der Aufnahmen wusste Jonathan, das würde die Promo werden. Das oder der Russe mit den Tätowierungen, den er in Jafo getroffen hatte, der geradewegs in die Kamera schaute und sagte, wenn er einen sprechenden Goldfisch fände, würde er sich gar nichts von ihm wünschen, ihn nur in einer großen Glaskaraffe aufs Regal stellen und den ganzen Tag mit ihm reden. Völlig egal, über was. Über Sport, über Politik, über alles, worüber ein Fisch nur reden wollen könnte. Alles. Bloß nicht allein sein.
Nicht ganz allein
Drei ihrer Verehrer haben versucht sich umzubringen. Sie sagt das traurig, aber auch mit ein bisschen Stolz. Einem von ihnen ist es sogar gelungen, er sprang vom Dach des Gebäudes der Geisteswissenschaften in der Universität und zersplitterte innen drin in Tausende Stückchen. Von außen sah er heil aus, friedlich sogar. Sie ist an jenem Tag nicht in der Uni gewesen, aber Freunde haben es ihr erzählt. Manchmal, wenn sie allein zu Hause ist, kann sie ihn regelrecht dort fühlen, mit ihr im Wohnzimmer, wie er sie ansieht, und wenn das passiert, ist es einen Moment beängstigend, aber es macht sie auch froh. Denn sie weiß, dass sie nicht ganz allein ist. Und mich, mich hat sie gern, hat sie sehr gern, aber sie ist körperlich nicht von mir angezogen. Was traurig für sie ist, für sie genauso wie für mich, vielleicht sogar noch mehr. Denn sie wäre echt gerne von jemandem wie mir angezogen. Jemand, der klug ist und feinfühlig, jemand, der sie wirklich liebt. Sie hat schon seit über einem Jahr ein Verhältnis mit einem älteren Kunsthändler. Er ist verheiratet, und er hat nicht vor, seine Frau zu verlassen, sie reden nicht mal darüber. Er zieht sie körperlich schon an. Was grausam ist. Grausam mir gegenüber und grausam ihr gegenüber. Das Leben könnte um so vieles einfacher sein, wenn ich sie anziehen würde.
Sie lässt zu, dass ich sie berühre. Manchmal, wenn ihr der Rücken wehtut, bittet sie sogar darum. Wenn ich ihr die Muskeln massiere, schließt sie die Augen und lächelt. »Das ist schön«, sagt sie, wenn ich sie berühre, »das ist angenehm.« Einmal haben wir sogar zusammen geschlafen. Im Nachhinein gesehen war es ein Fehler, sagt sie. Irgendwo und irgendwie wollte sie so sehr, dass es funktioniert, dass sie ihre Sinne ignoriert hat. Mein Geruch, mein Körper, irgendwas zwischen mir und ihr geht einfach nicht zusammen. Sie studiert schon seit vier Jahren Psychologie, aber sie ist immer noch außerstande, es zu erklären. Wie es sein kann, dass ihr Gehirn die ganze Zeit total möchte, aber ihr Körper einfach nicht mitzieht. Wenn sie sich an jene Nacht erinnert, in der wir zusammen geschlafen haben, wird sie traurig. Viele Dinge machen sie traurig. Sie ist ein Einzelkind. Die meiste Zeit ihrer Kindheit hat sie allein verbracht. Ihr Vater wurde krank, danach lag er im Sterben, dann war er tot. Sie hat keinen Bruder an ihrer Seite, der sie verstehen, der sie trösten würde. Ich komme dem am nächsten, was ein Bruder für sie wäre. Ich und Kuti, das ist der Name des Jungen, der vom Dach der Geisteswissenschaften gesprungen ist. Sie kann dasitzen und stundenlang mit mir über alles reden. Sie kann mit mir in einem Bett schlafen, mich nackt sehen, vor mir nackt sein. Nichts zwischen uns ist ihr peinlich. Nicht einmal, wenn ich neben ihr onaniere. Obwohl das Flecken auf das Leintuch und sie traurig macht. Es macht sie traurig, dass sie mich nicht lieben kann, aber wenn mich
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