Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
Unschuld und Hilflosigkeit daherzulabern. Aber ein Leben ist ein Leben. Und als einer, dem nicht wenige korrupte Rechtsanwälte und Politiker unter die Finger gekommen sind, muss ich darauf hinweisen, dass im entscheidenden Moment, der, wo der Körper zappelt und die Augen aus den Löchern treten – dass in diesem Moment alle unschuldig und alle hilflos sind, ohne Unterscheidung von Religion, Alter, Rasse oder Geschlecht. Aber erklär das mal einer pensionierten, halbtauben Geschworenen aus Miami, bei der das Einzige, was sie je im Leben geschafft hat, tot zu sehen, abgesehen von ihrem Mann, den sie nie wirklich leiden konnte, ein Hamster namens Charlie war, der an Dickdarmkrebs krepiert ist.
Beim Prozess haben sie auch behauptet, dass ich Kinder hasse. Haben den einen Fall von den sechsjährigen Zwillingen dahergebracht, die ich im Vorbeigehen ermordet habe, obwohl sie gar nicht im Originalvertrag mit drin waren. Vielleicht ist da was dran. Es ist nicht, dass ich ein Problem mit ihrer äußeren Form habe, denn in der Form sind Kinder sogar echt niedlich. Wie Menschen, aber so klitzekleine, wie diese Minicolabüchsen und Chipstütchen, die sie früher mal im Flugzeug verteilt haben. Aber mit dem Verhalten? Ich geb’s zu. Ich bin nicht wild auf ihre läppischen Zankereien, dieses Bodenschmeißgestrampel mitten im Einkaufszentrum. Dieses ganze Geplärre, dieses »Papa soll weggehen« und »ich hab Mama nicht mehr lieb«, und das alles wegen einem mistigen Zwei-Dollar-Spielzeug, mit dem sie, auch wenn du’s ihnen kaufst, nicht länger als eine Minute spielen. Auch die Gute-Nacht-Geschichten finde ich zum Kotzen. Und das ist nicht nur diese peinliche Situation, die dich dazu zwingt, dich neben sie in ihr kleines, unbequemes Bett zu legen, oder diese emotionale Erpressung, die sie schamlos betreiben, für noch eine Geschichte mehr, es sind die Geschichten selber. Immer alle so lieb und nett, mit süßen Tierchen ohne Reißzähne und ohne Krallen. Illustrierte Lügen von Welten ohne Böses, langweiliger als der Tod. Und wenn wir gerade vom Tod reden: Mein Rechtsanwalt denkt, dass wir Berufung gegen das Urteil einlegen können. Nicht dass es was nützen würde, aber bis diese Geschichte in die nächsten Instanzen geht, könnte uns das ein bisschen Zeit erkaufen. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht daran interessiert bin. Unter uns, was bringt mir dieses bisschen Zeit schon? Noch mehr Liegestützen in einer Zelle von drei auf zwei Meter? Noch ein paar Anstaltsbasketballspiele und schauderhafte Realitysendungen im Fernsehen? Wenn das, was am Ende steht, eine Giftspritze ist, dann nehmen wir sie doch gleich jetzt mit, statt lang rumzutrödeln, und dann machen wir weiter.
Als ich klein war, hat mein Vater immer von der nächsten Welt geredet. So viel hat er davon gequasselt, dass er die meiste Zeit schon gar nicht mehr merkte, mit wem meine Mutter in dieser Welt hinter seinem Rücken gevögelt hat. Wenn alles, was er über die nächste Welt gesagt hat, stimmt, dann wird es dort mindestens nicht langweilig. Er war Jude, mein Vater, aber als sie mich im Gefängnis gefragt haben, habe ich darum gebeten, dass sie mir einen Priester schicken. Irgendwie scheint mir, dass diese Christen ein bisschen weniger abstrakt sind. Und in meiner Lage ist der philosophische Aspekt nicht wirklich relevant. Was im Moment wichtig ist, ist die praktische Seite. Dass ich in die Hölle komme, ist gebongt, und je mehr Information ich aus dem Priester rausholen kann, desto besser vorbereitet trete ich dort an. Aus Erfahrung, es gibt keinen Ort, wo das Zertrümmern einer Kniescheibe oder eines Schädels deine Position nicht aufwerten kann, wobei es egal ist, ob das eine Anstalt für kriminelle Jugendliche in Georgia, Rekrutendienst bei den Mariners oder ein geschlossener Trakt in einem Gefängnis in Bangkok ist. Die Kunst ist, immer zu wissen, wem genau man was zertrümmern muss. Und exakt dabei sollte mir der Priester helfen. Im Nachhinein allerdings hätte ich genauso gut einen Rabbi oder einen Kadi oder sogar einen stummen indischen Baba bestellen können, denn dieser Quatschkopf von Priester hat mir bei gar nichts geholfen. Er schaute aus wie ein japanischer Tourist, hat sich aber beeilt, mir zu erklären, dass er schon die vierte Generation in Amerika ist, was mehr ist, als man von mir sagen kann. »Die Hölle«, sagt er zu mir, »ist völlig individuell. Genau wie das Paradies. Und zu guter Letzt erhält jeder die Hölle oder das Paradies,
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