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Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etgar Keret
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blieb beharrlich. Sagte alle möglichen Sachen. Sergej tat sich ein wenig schwer zu folgen, sein Ivrit war nicht gerade berauschend. Der Junge mit dem Ohrring redete schnell, sagte, Sergej habe ein starkes Gesicht, und er brauche ihn einfach unbedingt für diesen Film. Sergej stellte sich weiter stur und versuchte, die Tür zuzumachen, doch der Junge war flink und wendig, schaffte es, sich durchzuschlängeln, und schon war er drin, bei Sergej in der Wohnung. Er filmte einfach so, ohne Erlaubnis, und redete dabei wieder von Sergejs Gesicht, das viel Gefühl rüberbringe. Auf einmal sah er Sergejs Goldfisch, der in der großen Glaskaraffe in der Küche schwamm, und fing an zu schreien: »Ein Goldfisch! Ein Goldfisch!« Das stresste Sergej, und er fordert ihn auf, den Fisch nicht zu fotografieren, erklärte ihm, das sei einfach bloß irgendein Fisch, den er im Netz gefangen habe. Doch der Junge mit dem Ohrring filmte weiter und sagte alle möglichen Sachen über den Fisch, dass er sprechen würde, etwas von drei Wünschen, und fing sogar an, seine Hand in Richtung der Karaffe mit dem Fisch auszustrecken. In dieser Sekunde begriff Sergej, dass der Junge gar nicht fürs Fernsehen gekommen war, sondern um Sergej den Fisch wegzunehmen, und noch bevor Sergej Goreliks Gehirn überhaupt erfasste, was sein Körper da machte, nahm er die Pfanne vom Herd und drosch sie dem Jungen mit dem Ohrring auf den Kopf. Der Junge fiel um, und mit ihm fiel seine Kamera. Die Kamera zerbrach, als sie am Boden aufschlug, und auch der Kopf des Jungen. Massenhaft Blut trat aus seinem Kopf aus, und Sergej wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Das heißt, er wusste, was er eigentlich tun musste, aber das konnte ihn ernsthaft in Schwierigkeiten bringen. Denn wenn er mit diesem Jungen im Krankenhaus ankäme, würden die Leute Sergej fragen, was passiert war, und das könnte in eine echt ungute Richtung gehen.
    »Du brauchst ihn nicht mehr ins Krankenhaus bringen«, sagte der Fisch auf Russisch zu Sergej, »er ist tot.«
    »Das kann nicht sein, dass er tot ist«, protestierte Sergej, »der Schlag war doch nicht stark.«
    »Der Schlag war nicht stark«, stimmte der Fisch zu, »aber der Kopf dieses Jungen ist anscheinend noch weniger stark.«
    »Er wollte dich mir wegnehmen«, sagte Sergej.
    »Wollte er nicht«, stellte der Fisch fest, »er wollte bloß blödes Zeug fürs Fernsehen filmen.«
    »Aber er hat gesagt –«
    »Hat er gesagt«, schnitt ihn der Fisch ab, »aber du hast nichts verstanden. Dein Ivrit ist nicht das allerbeste.«
    »Und deins vielleicht?«, gab Sergej böse zurück.
    »Ja, meins schon«, erwiderte der Fisch ungeduldig, »ich bin ein Zauberfisch. Ich beherrsche alle Sprachen.«
    Die Blutpfütze um den Kopf des Jungen mit dem Ohrring wurde in einem fort größer und größer, was Sergej jetzt dazu zwang, sich regelrecht an die Küchenwand zu drücken, um nicht in der Lache zu stehen.
    »Du hast noch einen Wunsch übrig«, erinnerte ihn der Fisch.
    »Nein«, schüttelte Sergej den Kopf von einer Seite auf die andere, »ich kann nicht, ich hebe ihn auf.«
    »Aufheben wofür?«, fragte der Fisch, doch Sergej gab keine Antwort.
    *
    Den ersten Wunsch hatte Sergej verbraucht, als man den Krebs bei seiner Schwester entdeckt hatte. Es war Lungenkrebs von der Sorte, die nicht heilbar ist, doch der Fisch löste das innerhalb einer Sekunde. Den zweiten Wunsch hatte er vor zwei Jahren an das Kind von Sweta verschwendet. Der Junge war damals sehr klein gewesen, noch keine drei, aber die Ärzte sagten, etwas bei ihm im Kopf sei nicht in Ordnung. Dass er, wenn er heranwachse, zurückgeblieben sein würde. Sweta weinte die ganze Nacht, und in der Früh kehrte Sergej nach Hause zurück und bat den Fisch, das zu regeln. Er erzählte Sweta nie davon, und nach ein paar Monaten verließ sie ihn für irgendeinen Polizisten, ein Marokkaner mit einem alten Amischlitten. Im Inneren sagte sich Sergej, dass er es nicht für sie getan hatte, sondern nur für den Jungen, doch im Kopf war er sich weniger sicher, und alle möglichen Gedanken, welche anderen Dinge er sich stattdessen hätte wünschen können, flackerten die ganze Zeit auf. Den dritten Wunsch hatte er nicht erbeten.

    »Ich kann ihn ins Leben zurückholen«, sagte der Fisch. »Ich kann die Zeit zu dem Augenblick zurückdrehen, bevor er bei dir an die Tür geklopft hat. Ich kann das machen. Du brauchst es dir nur zu wünschen.« Der Fisch wedelte mit seiner hinteren Flosse hin und her, eine

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