Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
die er verdient.« Ich lasse nicht locker. Wer ist dort verantwortlich?, frage ich. Wie funktioniert es? Gibt es eine Chronik von solchen, die es geschafft haben auszubrechen? Aber er antwortet nicht, wackelt nur mit seinem Kopf rauf und runter wie diese Hunde, die man aufs Armaturenbrett klebt. Als er mich zum dritten Mal auffordert zu beichten, kann ich nicht mehr und verpasse ihm einen ordentlichen Hieb. Meine Hände und Füße sind gefesselt, also muss es mit dem Kopf sein, aber das ist mehr als genug. Ich weiß nicht, aus welchem Material diese japanischen Priester gebaut sind, aber meiner fällt auf der Stelle auseinander.
Die Wächter, die mich von ihm wegzerren, schlagen mich: Tritte, Schlagstöcke, Fäuste gegen den Kopf. Das ist scheinbar, um mich zu bändigen, aber sie schlagen mich bloß so, aus Spass. Ich verstehe sie. Es macht Spass zuzuschlagen. Ganz ehrlich? Dem Priester den Schädel zu rammen habe ich mehr genossen als das Steak mit den Pommes bei meiner letzten Mahlzeit, und das war echt kein übles Steak. Es macht Spass zuzuschlagen, und was immer dort auf mich wartet, auf der anderen Seite der Giftspritze, ich kann euch versprechen, dass es, so unangenehm es für mich auch werden mag, für den Hundesohn, der in der Hölle nahe genug neben mir steht, noch viel weniger angenehm sein wird, wobei mir egal ist, ob er bloß ein Sünder, ein Teufel oder der Satan persönlich ist. Dieser blutende japanische Priester hat mir tierisch Appetit gemacht.
Die Spritze tut weh. Garantiert könnten sie eine finden, die nicht wehtut, diese scheinheiligen Ärsche, aber sie haben eine ausgesucht, die wehtut. Zur Strafe. Während ich langsam verende, fallen mir alle ein, die ich getötet habe, der Ausdruck, der sich auf ihrem Gesicht ausgebreitet hat, bevor ihnen die Seele zu den Ohren rauskam. Es kann sein, dass sie alle dort auf der anderen Seite wütend auf mich warten. Ich spüre ein letztes heftiges Zucken im Körper, wie eine Faust, die sich gewaltsam um das Herz schließt. Sollen sie nur auf mich warten, schön wär’s, bei Gott. Es wird nett sein, sie noch mal um die Ecke zu bringen.
Ich schlage die Augen auf. Um mich herum grünes, hohes Gras wie im Dschungel. Irgendwie habe ich mir die Hölle gruftiger vorgestellt, finster irgendwie, aber hier ist alles grün, und die Sonne brennt grell von oben. Ich bahne mir einen Weg vorwärts, suche auf der Erde nach etwas, das ich zu einer Waffe machen könnte: einen Stock, Stein, spitzen Zweig. Da ist nichts. Um mich herum ist überhaupt nichts außer hohem Gras und feuchter Erde. In meiner Nähe entdecke ich ein Paar riesige menschliche Füße. Wer immer das ist, er ist achtmal so groß wie ich, und ich habe keine Waffe. Ich werde den schwachen Punkt bei ihm finden müssen: Knie, Eier, Gurgel. Kräftig und schnell zuschlagen und hoffen, dass es funktioniert. Der Riese bückt sich. Er ist flinker, als ich erwartet habe. Er schwingt mich gewaltsam in die Luft und reißt seinen Mund auf.
»Da bist du«, sagt er und drückt mich an seine Brust, »da bist du ja, mein dummer alter Bär. Du weißt, dass ich dich himmelhoch liebe.« Ich versuche auszunutzen, dass wir so nah beieinander sind, um ihn in den Hals zu beißen, ihm einen Finger ins Auge zu stechen. Ich will, aber mein Körper gehorcht mir nicht, und ganz und gar gegen meinen Willen umarme ich ihn ebenfalls. Ich spüre, wie sich meine Lippen bewegen, ohne dass ich sie kontrollieren kann, wie sie sich öffnen und flüstern:
»Ich liebe dich auch, Christopher Robin. Ich lieb dich am allermeisten auf der Welt.«
Ein großer blauer Autobus
Es gibt Kinder, die werfen sich auf den Boden und fangen zu brüllen an. Sie heulen und winden sich und strampeln, bis ihr Gesicht ganz rot und verschwitzt wird und der Speichel und der Rotz, die ihnen aus Mund und Nase laufen, anfangen, den grauen Beton des Bürgersteigs zu beflecken. Du kannst dich bedanken, dass er das nicht macht.
Das ist der Gedanke, an den sich Gilad versuchsweise klammert, um sich selbst zu beruhigen. Dieser Gedanke und eine Reihe langsamer Atemzüge. Und es hilft. Auf dem Bürgersteig neben ihm steht der kleine Hillel mit geballten Fäusten, gerunzelter Stirn, die Augen fest geschlossen, und sein Mund flüstert in einem fort immer wieder die gleichen Worte wie ein Mantra: »Ich will ich will ich will.«
Gilad beschließt zu lächeln, bevor er redet. Er weiß, dass Hillel das Lächeln nicht sehen kann, doch er hofft, dass sich etwas von dem Lächeln
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