Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
verspäteten. »Es ist meine Schuld«, erklärt sie. »Ich habe das alles im letzten Moment beschlossen. Deswegen habe ich Sie alle erst heute eingeladen. Ich muss mich entschuldigen.« Der Schnurrbart sagt, keine Ursache. Der mit den Brauen ist bereits an eins der Tabletts getreten und fängt an, Bruschettas zu kauen. Die Bruschettas sind in mustergültiger Ordnung angerichtet, und jedes einzelne, das er wegnimmt, glänzt wie ein herausgerissener Zahn durch seine Abwesenheit. Er weiß, dass es nicht gerade höflich ist und besser wäre, auf den Rest der Gäste zu warten, aber er stirbt vor Hunger. Er hat heute irgendeinem alten Mann beide Kiefer operiert, eine Geschichte von dreieinhalb Stunden, und anschließend hat er bloß die Kleider gewechselt und ist direkt hierhergerast. Ohne dass er dazu gekommen wäre, zu Hause vorbeizuschauen. Er ist jetzt hungrig, hungrig und verlegen. Die Bruschettas schmecken gut. Er nimmt sich noch eine, bereits die fünfte, und sucht eine Ecke für sich. Das Wohnzimmer in der Wohnung ist schlicht riesig, und es gibt auch noch eine Glastür, die aufs Dach führt. Pnina erzählt, dass sie dreihundert Leute eingeladen hat, alle, die sie auf der Adressenliste in Avners Palm gefunden hat. Nicht alle würden kommen, das weiß sie, sicher nicht bei einer so knappen Ankündigung, aber es würde lustig werden. Das letzte Mal, dass sie ein Überraschungsfest für ihn organisiert hat, war vor zehn Jahren gewesen, sie wohnten damals in Indien wegen Avners Geschäften, und einer der Geladenen brachte ihnen als Geschenk ein Löwenbaby mit. In Indien, stellt sich heraus, sind sie flexibler in allem, was mit den Gesetzen zum Schutz von Wildtieren zusammenhängt, oder sie halten sich bloß weniger dran. Dieses Löwenbaby war das Herzigste, was Pnina je im Leben gesehen hat. Überhaupt, dieses Fest damals war wirklich gelungen. Es sei jetzt nicht so, dass sie erwarte, dass ihnen auch heute jemand ein Löwenbaby mitbringen würde, doch es würden Leute kommen, man würde zusammen trinken und lachen, es würde einfach fröhlich sein. Und dieses Abspannen ist etwas, das wir alle brauchen, besonders Avner, der in den letzten Monaten wie ein Ochse an der Emission gearbeitet hat. Die Geschichte über Indien erinnert den Schnurrbärtigen an etwas – er hat auch ein Geschenk mitgebracht. Er zieht eine längliche, in buntes Papier verpackte Schachtel mit dem Logo der Bank aus der Tasche. »Es ist etwas Symbolisches«, sagt er in entschuldigendem Ton, »und es ist nicht nur von mir, das ist von der ganzen Filiale.« Es ist ohnehin schwierig, nach dieser derart erstaunlichen Löwengeschichte noch ein Geschenk zu machen. Pnina bedankt sich und umarmt den Schnurrbärtigen – eine doch etwas überraschende Geste, wenn man berücksichtigt, dass sie sich nicht kennen, das zumindest denkt sich der mit dem Pflaster. Pnina besteht darauf, dass der Schnurrbärtige das Geschenk einstweilen bei sich behält, um es Avner persönlich zu überreichen. Sie ist sicher, sagt sie, dass sich Avner total freuen wird, er hat Geschenke immer geliebt. Die letzte Äußerung verursacht bei dem mit den Brauen ein unbehagliches Gefühl, da er kein Geschenk mitgebracht hat. Auch der mit dem Pflaster hat nichts dabei, aber er hat auch nichts gegessen, während der mit den Brauen bis jetzt schon sechs Bruschettas, zwei Stückchen Salzhering und ein Oktopus-Sushi vertilgt hat, bei dem der Junge mit dem Tablett zweimal hartnäckig darauf hingewiesen hat, dass es nicht koscher sei. Der mit den Brauen weiß, er hätte nicht kommen sollen, aber jetzt bleibt ihm bloß noch übrig, darauf zu warten, dass Avner und der Rest der Gäste eintreffen, und dann, im Schutz der Party, zu verschwinden. Und bis es so weit ist, sitzt er hier fest, das weiß er, aber auch komplett. Nur, inzwischen sind schon zwanzig Minuten vergangen seit dem Augenblick, in dem er durch die Tür getreten ist, und kein einziger weiterer Gast ist gekommen.
»Wann, haben Sie gesagt, dass Avner kommen soll?«, fragt der mit den Brauen, wobei er ganz nonchalant zu klingen versucht. Es funktioniert nicht. Pnina gerät sofort in Bedrängnis. Er sollte schon hier sein, sagt sie, aber er weiß ja nichts von der Party, also kann es sein, dass er ein bisschen später kommt. Sie schenkt dem mit den Brauen ein Glas Wein ein. Er lehnt höflich ab, doch sie besteht darauf. Der mit dem Pflaster fragt, ob es Cognac gebe. Das macht Pnina echte Freude, und sie läuft auf ihren
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