Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etgar Keret
Vom Netzwerk:
reiben, der es in diesem Leben etwas weiter gebracht hat als er, finanziell zumindest, und offiziell gilt das sogar als Arbeit. Und wenn er nach Hause zurückkommt, wann immer das sein wird, muss er nur ein müdes Gesicht aufsetzen und erzählen, wie sie ihm den ganzen Abend die Ohren vollgeblubbert haben und er keine andere Wahl hatte, als es lächelnd zu schlucken, da sie wirklich gute Kunden seien. »So ist das«, wird er zu seiner Frau sagen, »ich muss mir, für den Lebensunterhalt, den Schwachsinn von Leuten anhören, genau wie du …« Und dann wird er verstummen, als wäre es ihm herausgerutscht, als sei ihm für einen Moment völlig entfallen, dass sie schon seit über zwei Jahren nicht mehr arbeitet und die ganze Bürde allein ihm aufhalst. Sie würde dann sicher weinen, sagen, es sei doch nicht ihre Schuld, dass sie in eine postnatale Depression verfallen sei, und das sei ein erwiesenes wissenschaftliches Phänomen, nicht bloß was in ihrem Kopf, das sei chemisch, wie jede Krankheit. Wenn sie nur könnte, sie wäre ganz wild drauf, wieder zu arbeiten, aber sie könne nicht, sie sei einfach nicht … Und er würde diesen Schwall abschneiden und sich entschuldigen. Sagen, dass er damit gar nichts gemeint habe, dass es ihm einfach unabsichtlich herausgerutscht sei. Und sie würde ihm glauben oder auch nicht. Bei dieser ganzen Öde zwischen ihnen, was spielte das schon für ein Rolle. Der Schnurrbärtige scheint mitzukriegen, was ihm alles durch den Kopf geht, und schenkt ihm noch ein wenig Cognac ein. Dieser Schurrbärtige ist echt einer, denkt sich der mit dem Pflaster, ein ganz besonderer Knabe. Der mit den Brauen dagegen ist ein bisschen stressig, so ein Neurotiker. Am Anfang, als sie gekommen sind, hat er andauernd gegessen, und jetzt schaut er bloß auf die Uhr und kratzt sich. Vorher, als Pnina versucht hat, ihn zum Bleiben zu überreden, wollte er fast schon in das Gespräch hineinplatzen und zu ihr sagen, sie soll ihn doch lassen, sie solle ihn einfach gehen lassen und Schluss damit. Niemand brauche ihn hier. Man könnte meinen, er sei ein Kindheitsfreund von Avner oder so was, dabei ist er schlicht bloß irgendein Kerl, der ihm im Zahn herumgebohrt hat. Überhaupt, wenn man es so recht bedenkt, ist es ein bisschen komisch, dass sie die Einzigen sind, die gekommen sind. Was sagt das über die wirklich engen Freunde von Avner aus? Dass sie dermaßen egoistisch sind? Dass sie von ihm verletzt worden sind? Vielleicht besagt es auch, dass er überhaupt keine hat?
    Die Intercom-Anlage summt, und Pnina rennt los, um zu antworten. Der Schnurrbart zwinkert dem mit den Brauen und dem mit dem Pflaster zu und initiiert noch eine Runde Cognac. »Keine Bange«, sagt er zu dem mit den Brauen, als sei auch er irgendein Bankkunde, der in Schwierigkeiten geraten ist, »wird schon gutgehen.« Wer auf die Klingelanlage gedrückt hat, ist nur der Mann vom Catering. Ihr Wagen blockiert irgendjemanden. Er fragt, ob er die Parkgarage des Gebäudes benutzen kann. Pnina ist noch nicht einmal dazugekommen zu antworten, als das Telefon klingelt. Sie eilt, um den Hörer abzuheben. Am anderen Ende der Leitung herrscht Stille.
    »Avner«, sagt sie, »wo bist du? Ist alles in Ordnung?« Sie weiß, dass es Avner ist, denn die Nummer des eingehenden Gesprächs taucht auf dem Display auf. Doch es kommt keine Antwort vom anderen Ende, nur der Ton, dass unterbrochen wurde.
    Pnina ist in Bedrängnis. Sie beginnt zu weinen, jedoch ein höchst eigenartiges Weinen. Ihre Augen sind nass, und sie zittert am ganzen Leib, doch sie lässt keinen Ton verlauten, wie ein vibrierendes Mobiltelefon. Der Schnurrbärtige tritt rasch zu ihr und nimmt ihr das Cognacglas in letzter Sekunde aus der Hand, bevor es hinunterfällt und zersplittert. »Es stimmt was nicht mit ihm«, sagt Pnina und umarmt den Schnurrbärtigen gewaltsam, »irgendetwas mit ihm ist nicht in Ordnung. Ich hab’s gewusst, die ganze Zeit hab ich’s schon gewusst. Deswegen habe ich auch beschlossen, das Fest zu machen, um ihn zu ermutigen.« Der Schnurrbärtige führt sie zum Sofa und setzt sie neben den mit den Brauen. Der ist tödlich enttäuscht. Als Pnina zum Telefonieren aufgestanden ist, hat er geplant, wenn sie zurückkommt, zu ihr zu sagen, er müsse aufbrechen, seine Frau warte auf ihn oder so was, doch nach diesem Anruf weiß er bereits, dass das nicht geht. Sie befindet sich jetzt nahe neben ihm, er kann ihren Atem hören, unregelmäßig. Und ihr Gesicht ist total weiß.

Weitere Kostenlose Bücher