Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
viel rede, sei ein Hilferuf. Dass es egal ist, welche Worte aus meinem Mund kommen, was ich in Wahrheit in jenem Augenblick sagen würde, das sei »Hilfe«. Denk mal drüber nach, sagt sie, du schreist »Hilfe«, und sie denken inzwischen an was anderes. Wenn sich jemand unbehaglich zu fühlen hat, sind das sie, nicht du. Die Zunge meiner Frau ist weich und angenehm. Ihre Zunge ist der beste Platz auf Erden. Wenn sie ein bisschen breiter und länger wäre, würde ich auf sie umziehen. Mich in sie einrollen wie ein Stück Fisch in Reis. Wenn ich daran denke, mit welcher Zunge ich zu küssen angefangen habe und bis wohin ich gekommen bin – man könnte glatt sagen, ich hab was aus meinem Leben gemacht. Dass ich auch eine ganz schöne Aufwertung hinter mir habe. Die Wahrheit ist, dass ich nie in der Businessklasse geflogen bin, aber wenn der Unterschied zwischen ihr und der Touristenklasse wie der zwischen der Zunge meiner Frau und der von Zachi-Zlil Drucker ist, dann wäre ich gern bereit, eine Woche in der gedörrtesten Laubhütte der Welt mit dem holzköpfigsten Onkel auf Erden zu sitzen, um eine solche Aufwertung zu erreichen.
Die Durchsage kommt, dass wir demnächst landen. Ich rede weiter. Mikel hört weiter nicht zu. Der Erdball dreht sich weiter um seine Achse. Noch vier Tage, meine Liebste. In vier Tagen kehre ich zu dir zurück. Noch vier Tage und ich kann wieder schweigen.
Die Guajave
Das Geräusch der Flugzeugmotoren war nicht zu hören. Nichts war zu hören. Außer vielleicht dem leisen Weinen der Stewardessen ein paar Sitze weiter hinter ihm. Durch das elliptische Fenster schaute Schakedi auf eine Wolke, die direkt unter ihm schwebte. Er stellte sich das Flugzeug vor, wie es wie ein Stein hindurchfiel, ein riesiges Loch hineinbohrte, das sich gleich beim ersten Wind schließen und nicht einmal eine Narbe hinterlassen würde. »Bloß nicht fallen«, dachte Schakedi, »bloß nicht fallen.«
Vierzig Sekunden bevor es mit Schakedi vorbei war, tauchte ein ganz in Weiß gekleideter Engel auf und erzählte ihm, dass ihm ein letzter Wunsch in seinem Leben vergönnt sei. Schakedi versuchte zu klären, was genau »vergönnt« hieß. Ob es sich um eine Art Gewinn wie bei einer Verlosung handelte oder um etwas, das eine Spur schmeichelhafter war: »vergönnt« im Sinne von verdient, als Preis für seine guten Taten. Der Engel zuckte mit den Flügeln. »Weiß ich nicht«, bekannte er mit glasklar engelhafter Aufrichtigkeit. »Man hat mir gesagt, ich soll kommen und schnell machen, sie haben nicht gesagt, warum.«
»Schade«, sagte Schakedi, »denn gerade das wäre schon hyperinteressant. Besonders jetzt, wo ich im Begriff bin, diese Welt und das alles zu verlassen, wäre es mir echt wichtig zu wissen, ob ich sie schlicht als Glückspilz verlasse oder mit irgendeinem Schulterklopfen.«
»Vierzig Sekunden und du pustest deine Seele aus«, versetzte der Engel mit gleichmütiger Stimme, »wenn du das in diesen vierzig durchhecheln willst, geht das von mir aus in Ordnung. Voll. Du solltest dir bloß einverleiben, dass dein Fenster der Gelegenheiten immer mehr zugeht.«
Schakedi verleibte es sich ein und bat schleunigst um etwas. Allerdings nicht bevor er sich die Mühe gemacht hatte, zu dem Engel zu bemerken, dass er eine eigenartige Ausdrucksweise habe, das heißt, so verhältnismäßig, für einen Engel. Der Engel war beleidigt. »Was soll das heißen, für einen Engel? Hast du in deinem Leben schon mal einen Engel reden gehört, dass du mir so was hinrotzt?«
»Nein«, gab Schakedi zu. Der Engel wirkte auf einmal viel weniger engelhaft und nett, was aber noch gar nichts dagegen war, wie er aussah, nachdem er den Wunsch vernommen hatte.
»Weltfrieden?!«, schrie er wütend. »Weltweiter Frieden? Du machst wohl Witze mit mir!«
Und da starb Schakedi.
Schakedi war tot, und der Engel blieb. Blieb mit dem schwersten und kompliziertesten Wunsch zurück, den zu verwirklichen er jemals gebeten worden war. Die meisten Menschen wünschen sich ein neues Auto für die Frau, eine Wohnung fürs Kind. Plausible Dinge. Punktuelle. Aber Weltfrieden, das war ein tonnenschwerer Fall. Zuerst quälte ihn der Kerl mit Fragen, als sei er die Auskunft persönlich, danach beleidigte er ihn damit, dass er eigenartig rede, und zum Nachtisch würgte er ihm Weltfrieden rein. Wenn er nicht schon seine Seele ausgehaucht hätte, der Engel hätte sich wie ein Herpes an ihn drangeklebt, hätte nicht lockergelassen, bis er den Wunsch
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