Ploetzlich Liebe
das Auge reicht. Ein Strandmädchen bin ich also nicht gerade.«
Sam lacht. »Ich weiß nicht.« Er legt mir wieder den Arm um und rückt näher, damit er mir ins Ohr flüstern kann: »Hier draußen wirkst du ziemlich süß.«
Ich schaue auf. Er guckt mich mit einem flirtenden Lächeln an und streicht mir mit seiner freien Hand das Haar zurück. Wir sind von Leuten umgeben, aber das scheint keine Rolle zu spielen, denn er senkt den Kopf wieder und dieses Mal streifen seine Lippen meine.
Und ich krieg die Panik.
»Ich muss Morgan was sagen!«, rufe ich und springe auf. »Bin gleich wieder da!«
Bevor ich davonstürze, sehe ich noch, wie verwirrt er ist, dann wühle ich mich durch die Menge, bis er aus meinem Blickfeld verschwunden ist.
Was in aller Welt war das?
Ich schlucke. Mit tief in die Taschen gerammten Händen entferne ich mich von der Gruppe. Der Lärm klingt etwas ab, als ich mich dem Meer nähere, wo ich mich im Schneidersitz auf einen warmen Streifen Sand setze und das tintenblaue Wasser betrachte.
Warum hab ich ihn nicht einfach geküsst? Morgan hatte doch recht – ich muss über Sebastian wegkommen. Weshalb erstarre ich dann in dem Augenblick, in dem Sam mir näher kommt? Sam ist nett, schlau genug und viel attraktiver als irgendein Junge, den ich zu Hause in England finden könnte, aber nein, ich muss mich anstellen wie ein verängstigtes Schulmädchen.
Ich seufze und schiebe mit den Füßen kleine Sandhaufen zusammen. Nichts hat sich verändert. Sebastian hat sich immer darüber beklagt, dass ich dichtmache, dass ich mich völlig abschotte, wenn es um körperliche Nähe geht. Die Stimme in meinem Kopf hat mir niemals Ruhe gelassen, immer wurde alles analysiert, bewertet, und immer hat sie mich im letzten Augenblick davon abgehalten, einfach alles laufen zu lassen. Und jetzt, Tausende von Kilometern weit weg, ist sie immer noch da. Ich fröstele, plötzlich hab ich Angst, dass ich sie nie loswerde. Bin ich einfach so – bin ich verdammt dazu, ewig neben mir zu stehen und mir zuzugucken?
Ich blinzele Tränen weg. Schöne Erholungsreise! Meine
Familie hat so viel zu tun, dass sie ganz schnell aufgegeben hat, mich zur Rückkehr zu überreden. Inzwischen schickt mein Vater mir nur noch Nachrichtenmeldungen (»weil wir ja wissen, welche engstirnige Einstellung die da drüben zur Weltpolitik haben«), meiner Mutter muss ich zweimal die Woche eine E-Mail schicken, damit sie weiß, dass ich nicht erschossen worden bin, und Elizabeth erinnert mich an die Hautkrebsstatistiken. Ich versichere ihnen allen, dass ich Spaß habe, aber …
… Ist das hier wirklich das Richtige?
Tasha
Professor Elliot will mich vor dem Kurs sehen. Meinen neuen Essay hab ich gestern Abend gemailt und jetzt finde ich eine ominöse Nachricht in meiner Mailbox, in der ich um eine kleine Unterredung gebeten werde. Als ob ich ablehnen könnte.
Ich hatte mir vorgenommen, die zusammenfassenden Kapitel noch einmal durchzugehen, damit ich auch total vorbereitet zu diesem Termin erscheinen kann, aber bis ich mir die letzten Kapitel in Wirtschaft reingezogen und mich durch ein grauenhaftes Arbeitsblatt geackert habe, ist es schon zwölf. Statt also cool und selbstbewusst zu erscheinen, komme ich fünf Minuten zu spät, mit hochrotem Gesicht,
weil ich über den Campus gerannt bin, und mit laut knurrendem Magen, weil ich Frühstück und Mittagessen übersprungen habe. Und in meinen verwaschensten grauen Sweatpants werde ich auch nicht gerade den besten Eindruck machen.
»Natasha.« Professor Elliot begrüßt mich mit hochgezogenen Augenbrauen und scheucht mich in ihr unordentliches Zimmer. Sie trägt eine scheußliche grüne Strickjacke zu einer alten Tweedhose, aber trotzdem komme ich mir vor wie die Pennerin. »Bitte setzen Sie sich. Möchten Sie Tee?«
»Äh, nein. Nein, danke.« Nervös sehe ich mich um, während sie einen kleinen Kessel füllt und einen Becher bereitstellt. Ich weiß, wie viel Wert sie in Oxford auf dieses zwanglose Ding zwischen Lehrenden und Studierenden legen, aber wenn ich in Schwierigkeiten bin, möchte ich das lieber ganz direkt zu wissen kriegen. Ein paar qualvoll lange Minuten fummelt Elliot mit ihrem Getränk herum, und ich warte. Ich kann meinen Essay auf ihrem Tisch liegen sehen, voller roter Anmerkungen. Mir schnürt sich der Magen zu.
»Nun …« Nachdem sie sich in einen Sessel gesetzt hat, wendet Elliot sich endlich mir zu. »Wie gefällt es Ihnen hier?«
»Gut«, antworte ich.
Ich erwähne
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