Ploetzlich Liebe
Verbindungsparty am Wochenende. Obwohl das Spaß gemacht hat, verblasst der anfängliche ruchlose Kitzel. Ich versteh schon, was Carla und Morgan an dieser Art von zwanglosen Begegnungen gefällt, aber ich bin mir nicht sicher, dass es für mich das Richtige ist. Ohne dieses risikobedingte Kribbeln ist da nichts als die Zunge eines fremden Typen in meinem Mund und ein vages Gefühl des Unbehagens. Anscheinend weiß mein Herz, dass ich eigentlich nicht irgendwelche x-beliebigen Fremden küssen sollte.
Ich tippe auf Senden, Ryan brüllt »Action!«, und die Schauspieler erwachen zum Leben. Peter geht vorsichtig zur Parkbank rüber, wo Lulu wartet.
»Ich hab dich überall gesucht.« Peter neigt den Kopf genau im richtigen Winkel, er sieht Lulu an, als wäre sie der Mittelpunkt seines Universums.
»Und?« Lulu seufzt tief und matt. »Hast du nicht schon alles gesagt?«
Sie spielen die Szene einfach perfekt, das ist genau die Mischung von Abgestumpftheit und Hoffnung, die ich rüberbringen wollte. Meine erste Fassung des Drehbuchs hab ich mittlerweile ein Dutzend Mal umgeschrieben. Professor
Lowell hat uns eingeschärft, dass ein Drehbuch nie fertig ist. Bis zum Abschluss der letzten Bearbeitung ist es unvollendet, work in progress, so was wie ein Entstehungsprozess. Zuerst hab ich ihm nicht geglaubt und war fest entschlossen, alles sofort perfekt hinzukriegen. Die Worte klingen aber laut gesprochen so anders, und deshalb nehme ich nun noch am Set immer wieder kleine Anpassungen vor. Doch statt all die Änderungen irgendwann leid zu werden, genieße ich sie, mit jeder Korrektur tauche ich tiefer in die Charaktere ein.
»Du hörst nicht zu.« Lulu starrt wütend auf ihre geballten Fäuste und in mir wallt der Stolz auf. Ursprünglich hatte das eine Streitszene voller Wut und Schreierei sein sollen, doch vor zwei Nächten bin ich nachts um drei aufgewacht und plötzlich tanzten mir die Worte im Kopf herum, mir war klar, dass es überhaupt nicht laut werden musste. Die Emotion, die Intensität würde noch an Dramatik gewinnen, wenn die Szene ganz ruhig und straff gespielt wurde. Ich hatte recht gehabt.
»Und … Schnitt. Das machen wir noch mal, diesmal in der zweiten Einstellung.« Ryan schaut nicht von seinem Monitor auf, die ganze Zeit nicht, ihm ist die digitale Version lieber als das, was er in Fleisch und Blut vor sich sehen kann. Inzwischen habe ich kapiert, dass es für ihn keine Rolle spielt, wie das wahre Leben aussieht, nur das zählt, was auf dem Display zu sehen ist.
Wir haben keine Zeit dafür eingeplant, diese Szene in einer anderen Einstellung zu drehen, aber ich lasse ihn die Aufnahme trotzdem machen. Am Anfang hab ich noch auf den Tisch gehauen, aber jetzt weiß ich, dass es keinen Zweck
hat, sich ihm in den Weg zu stellen. Ja, er ist stur und streitsüchtig, aber er hat eine Vision. Ryan sieht diesen Film so, wie ich das niemals könnte. Für mich ist er linear, die Geschichte zieht sich glatt durch alle Aufnahmen und Szenen. Anfang, Mitte, Ende. Aber für ihn ist es ein multidimensionales Gebilde. Seine dunklen Augen sehen Perspektiven und Panoramen, Subtext und Symbolik.
»Ist drin.« Mit einem kurzen Nicken prüft Ryan die Szene noch mal und tritt dann vom Monitor zurück. Er atmet tief durch, fährt sich mit der Hand über den Kopf und blinzelt.
»Mach mal Pause«, dränge ich ihn und gehe zu ihm, während die Schauspieler sich entspannen. In seinen zerknitterten Jeans und dem verwaschenen grauen Hemd sieht er aus, als hätte er schon tagelang nicht mehr geschlafen.
»Wir haben noch jede Menge zu tun.«
»Und Zeit genug«, versichere ich ihm. »Denkst du wirklich, ich würde dir Überziehungen durchgehen lassen?«
Ryan bringt ein schwaches Lächeln zustande. »Eher nicht.«
»Genau. Abgesehen davon«, ergänze ich, damit er nicht glaubt, ich werde weich, »wenn du jetzt einen Nervenzusammenbruch hast, werden wir mit der Nachbearbeitung niemals fertig.«
»Da ist was dran.«
Sanft schiebe ich ihn zur Bank rüber und hole ihm die Limo-Schokoriegel-Kombi, die sein einziger Treibstoff zu sein scheint. »Iss. Trink. Atme.«
Ryan nickt lustlos, ich merke, dass er die letzte Szene noch immer aus einem Dutzend Perspektiven analysiert.
»Perfekt wird es nie«, erinnere ich ihn und hocke mich
auf die Lehne. »Dazu haben wir weder die Zeit, noch die Mittel.«
»Ich weiß.« Langsam mampft er seinen Snack. »Ich will das doch nur … so perfekt hinkriegen wie möglich.«
Das hier ist ja so was
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