Ploetzlich Liebe
im Whirlpool sitze. So deutlich, dass man auch das Freundschaftstattoo auf meiner Hüfte erkennen kann.
Es ist vorbei.
Emily
Den größten Teil der Nacht liege ich wach und analysiere unsere Küsse aus jedem möglichen Blickwinkel. Immer noch spüre ich Ryans Hände auf meinem Körper und seinen Mund auf meinem, in meinen Adern glüht eine Hitze, die ich bisher nicht gekannt habe.
Und jetzt weiß ich mit Sicherheit, dass Sebastian sich geirrt hat.
Ich habe kein Problem mit Nähe, noch reagiere ich komisch, wenn Körpereinsatz gefragt ist. Dabei hatte ich immer gedacht, alles, was er gesagt hatte, wäre wahr, doch nun stellt sich heraus, dass es nur mit ihm wahr gewesen ist. Vor Stunden war ich noch mit Ryans Körper verflochten und konnte gar nicht genug kriegen – Regeln, Beschränkungen
und Grenzen, die nicht überschritten werden durften, waren mir völlig egal. Ich war frei gewesen, mein innerer Monolog war endlich verstummt. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte es in meinem Körper nur mich gegeben und ich hatte jede Berührung gespürt – ohne diese ständige Distanz.
Ein Lächeln schleicht sich in mein Gesicht, als ich in meinen Laken liege. Die dumpfe Angst, die ich schon seit Monaten im Hinterkopf mit mir herumtrage, schrumpft mit jedem Ausatmen. Sebastian hat sich geirrt, diesen Satz wiederhole ich immer wieder. Ich bin nicht dazu verdammt, mein Leben lang nur in meinem Kopf gefangen zu bleiben. Ich kann fühlen und handeln, ohne nachzudenken.
Ein paar Stunden verbringe ich noch zwischen Schlafen und Wachen, dann fängt mein Handy auf dem Nachttisch an wie wild zu vibrieren. Ich geh ran, einen Moment lang überlege ich, ob er es wohl sein könnte, aber ich kann kein einziges Wort verstehen.
»Hallo?« Ich stoße die Decke von mir und recke mich. »Wer ist da?« Nichts als ein unterdrücktes Schniefen – und dann höre ich eine Stimme.
»Em?«
Ich zögere. »Natasha? Bist du das?«
Ein Schluchzen und dann: »Sie hassen mich. Sie hassen mich alle!«
»Ach, das wird schon. Beruhig dich erst mal, dann erzählst du mir, was los ist.« In meinem karierten Pyjama setze ich mich im Schneidersitz aufs Bett und versuche einen Sinn in ihren tränenerstickten Worten zu finden.
»Natasha? Das wird schon wieder. Was ist passiert?«
»Es ist vorbei.« Sie klingt so resigniert und ich begreife, dass etwas furchtbar schiefgelaufen ist. »Sie wissen es.«
»Die Sache …? O Gott!«, keuche ich.
»Der Oxford Student hat einen Artikel darüber gebracht«, fährt Natasha fort, »direkt vor der Sitzung des Verwaltungsrats. Alle sagen, ich hätte die Kampagne ruiniert!«
»Das stimmt doch nicht!«, protestiere ich noch voller Hoffnung. »Das wird nicht ins Gewicht fallen, da bin ich mir sicher.«
»Doch! Die verachten mich jetzt alle total. Gott, Em, du hättest sie sehen sollen. Carrie wollte mir nicht mal in die Augen gucken und Professor Elliot …« Natasha fängt wieder an zu weinen.
Ich zupfe an der Bettdecke, bis ihre Tränen ein bisschen versiegt sind. Diese Flucht hat ihr so viel bedeutet, es war so wichtig für sie, einen neuen Anfang zu machen, wo niemand von dem Skandal wusste. Und jetzt …
»Vielleicht hilft dir das ja, wenn ich dir sage, dass ich auch total geliefert bin«, sage ich im Flüsterton. »Letzte Nacht hab ich Ryan geküsst.«
»Du und Ryan?« Natasha klingt etwas munterer. »Willst du damit sagen …? Das gibt’s ja nicht!«
»Ich weiß.« Ich seufze. Im ersten Licht des Morgens danach mischt sich ein frisches Schuldgefühl in meinen Augenblick der haltlosen Hingabe. »Ich bin ein schrecklicher Mensch.«
»Damit wären wir schon zwei.«
»Nein!«, sage ich energisch. »Du hast doch nichts gemacht. «
»Da frag mal Uma. Sie sagt, jetzt könne der Verwaltungsrat das Center getrost als etwas abschreiben, das nur verantwortungslosen Schlampen dient.«
»Das hat sie dir ins Gesicht gesagt?« Ich blinzele. »Natasha, das ist ja schrecklich.«
»Und das war erst der Anfang, Em. Die haben sich alle total aufgeregt, weil nun irgendwie die Genderstereotypen verfestigt und die Frauenbewegung zurückgeworfen wird. Man könnte denken, ich hätte den Richterspruch Roe versus Wade widerrufen!« Sie versucht zu lachen, aber ihre Stimme klingt immer noch dumpf.
»Also, das sind doch einfach nur engstirnige, selbstgerechte Zicken«, sage ich wütend. Bisher hatte ich noch nie Probleme mit Carrie und ihren Kreuzzügen gehabt, aber es bricht mir das Herz, zu hören, wie einsam Natasha ist.
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