Plötzlich Prinz - Das Erbe der Feen
ihr boshaftes Wesen und ihre Vorliebe für Chaos. Das konnte alles ein großer, ausgeklügelter Scherz sein, und wenn ich ihn jetzt anrief, würde er als Letzter lachen.
Doch tief in meinem Inneren wusste ich, dass das alles lahme Ausreden waren. Weder die Gruselfee noch die tote Blumenelfe entsprangen meiner Fantasie. Todd tat nicht nur so, als hätte er Angst. Irgendetwas ging hier vor, etwas wirklich Übles, und er steckte mittendrin.
Und ich wollte nicht mit reingezogen werden.
Schätze, dafür ist es zu spät. Ich tippte Todds Handynummer ein, drückte das Telefon ans Ohr und hielt den Atem an.
Ein Klingeln.
Noch ein Klingeln.
Ein dri…
Abrupt verstummte der Ton, der Anruf wurde abgebrochen, ohne dass ich auf die Mailbox weitergeleitet wurde. Im nächsten Moment dröhnte das Besetztzeichen in meinem Ohr.
»Was ist los?«, fragte Kenzie, als ich das Telefon sinken ließ. »Ist mit Todd alles in Ordnung?«
»Nein.« Ich starrte auf das Handy und das rote Hörersymbol am unteren Displayrand. »Nein, es ist nichts in Ordnung.«
Nachdem ich Kenzie davon überzeugt hatte, dass wir im Augenblick nichts weiter für Todd tun konnten, fuhr ich nach Hause. Sie hatte auf stur geschaltet, sich geweigert, mir zu glauben, und darauf bestanden, die Polizei zu informieren. Ich hatte dagegengehalten, dass wir keine voreiligen Schlüsse ziehen durften, da wir ja gar nicht genau wüssten, was los war. Dass Todd sein Handy einfach ausgeschaltet haben könnte. Dass er sich auf dem Heimweg vielleicht einfach verspätet hatte. Dass wir einfach nicht genug Beweise hätten, um die Behörden einzuschalten. Irgend wann hatte sie nachgegeben, aber ich hatte das untrügliche Gefühl, dass das nicht von langer Dauer sein würde. Blieb nur zu hoffen, dass sie nicht irgendetwas tat, womit sie ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Sich mit mir sehen zu lassen war schon schlimm genug.
Zu Hause ging ich direkt in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir ab. Ich setzte mich an den Schreibtisch, zog die oberste Schublade auf und wühlte darin herum, bis ich ganz hinten einen langen, schmalen Briefumschlag fand.
Langsam lehnte ich mich zurück und starrte das Ding eine ganze Weile an. Das Papier war knittrig und trocken, schon leicht vergilbt, und roch nach alten Zeitungen. Auf der Vorderseite stand ein einziges Wort: Ethan. Mein Name, in der Handschrift meiner Schwester.
Ich drehte den Umschlag um und zog den Brief heraus. Ich hatte ihn schon Dutzende Male gelesen und kannte ihn in- und auswendig, trotzdem überflog ich ihn ein weiteres Mal, während sich in meiner Kehle ein drückender Kloß bildete.
Lieber Ethan,
hundert Mal habe ich diesen Brief angefangen, und ich wünschte, ich würde die richtigen Worte finden, aber vermutlich muss ich es dir einfach geradeheraus sagen: Wir werden uns wahrscheinlich niemals wiedersehen. Ich würde so gerne für dich und Mom da sein, sogar für Luke, aber ich habe jetzt andere Verpflichtungen, ein ganzes Königreich, das mich braucht. Du wächst so schnell heran – jedes Mal, wenn ich dich sehe, bist du größer und stärker geworden. Manchmal vergesse ich, dass die Zeit im Feenreich anders vergeht. Und wenn ich dann nach Hause komme und sehe, wie viel in deinem Leben ich verpasst habe, bricht es mir das Herz. Du sollst wissen, dass ich immer an dich denken werde, aber es ist das Beste, wenn von nun an jeder sein eigenes Leben lebt. Ich habe Feinde hier, und ich will auf keinen Fall, dass dir oder Mom meinetwegen etwas zustößt.
Dies ist also ein Abschied. Hin und wieder werde ich nach dir sehen, und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit ihr – Mom, Luke und du – ein schönes Leben habt. Aber ich bitte dich, Ethan: Bei allem, was dir heilig ist, versuche nicht, mich zu finden. Meine Welt ist viel zu gefährlich für dich, du solltest das ja am besten wissen. Halte dich von den Feen fern und versuche, ein normales Leben zu führen.
Für den Fall, dass du in Not gerätst und mich unbedingt sehen musst, habe ich dir ein Kleinod beigelegt, das dich ins Nimmernie bringen kann, direkt zu jemandem, der dir helfen wird. Um es zu benutzen, musst du einen Tropfen deines Blutes darauf fallen lassen und es anschließend in stehendes Wasser werfen. Doch es lässt sich nur ein einziges Mal benutzen, danach ist diese Gefälligkeit aufgebraucht. Setze es also mit Bedacht ein.
Ich liebe dich, kleiner Bruder. Kümmere dich an meiner Stelle um Mom.
Meghan.
Ich faltete den Brief zusammen,
Weitere Kostenlose Bücher