Plötzlich Royal
Simon.
„Sie können Ihr Kind für jede Kleinigkeit hart bestrafen oder Sie können ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen. Diese tief im Inneren sitzende Veranlagung aber können Sie nicht durch Erziehung ändern. Sie können Ihrem Sohn nur so viel Angst machen, dass er es versteckt. Leider geschieht das auch noch heute an viel zu vielen Orten“, ergänzte ich.
„Ach, Sie beide haben so einen Blick, gegen den eine Mutter keine Waffe hat. Eine Frage hätte ich noch: Was geschieht heute Nacht, wenn ich wieder zu Hause bin?“
Timm war mit zwanzig Jahren kein Kind mehr. In diesem Alter ging sein Privatleben die Mutter nichts an. Dennoch zog ich es vor, ausweichend zu antworten, um nicht auch noch darüber zu diskutieren: „Simon und ich sind ein rundum glückliches Paar. Sie brauchen sich keine Sorgen um Timm zu machen.“ Ich erhob mich und alle mit mir. „Ich denke, mein Mann und ich sollten Sie nun noch für einen Moment alleine mit Ihrem Sohn lassen. Wenden Sie sich an den Butler, wenn Sie so weit sind. Er wird das Taxi rufen.“
Timms Mutter bedankte sich für dieses unvergessliche Erlebnis und Simon bestellte Timm für später ins Büro. Wir beide setzten uns wieder an die Computer und aus Gewohnheit ging queer.de auf. Tatsächlich, da gab es auf der Seite einen kleinen Link „Palastmäuschen“ und Simon trug ein, dass Seine Majestät eben mit der Mutter von Timm gesprochen habe. Man müsse aber abwarten, ob sie einen schwulen Sohn akzeptieren könne. Man sei zwischendurch mit den Angestellten auch mal im Pub gewesen, um das Betriebsklima zu pflegen.
Ich schaute mir inzwischen noch einmal die Jamaika-Nachrichten an. Im Moment würden sich die Stimmen mehren, die eine Verfassungsreform forderten, so dass der englische König nicht mehr Staatsoberhaupt sei. Die Begründung lag auf der Hand: Es könne nicht sein, dass jemand, der beim Betreten des Landes sofort zu zehn Jahren schwerer Zwangsarbeit verurteilt würde, Staatsoberhaupt sei. Die Kommentare der Community darunter waren entsprechend scharf und viele fragten, wo denn das Mäuschen sei. Also tippte ich ein neues Posting.
„Die persönliche Meinung Seiner Majestät ist nicht schwer zu erraten. Doch es wäre kontraproduktiv, wenn er das so spitz wie ihr kommentieren würde. Es würde in Jamaika eine Trotzreaktion auslösen. Alltagspolitik ist Sache seines Premiers und seiner Minister. So sind die Spielregeln. Klar, das neue Gesetz – die Bill of Royalty – gibt dem König ein wenig mehr Spielraum, sich auch für über der Alltagspolitik stehende Werte einzusetzen, wie das im Gesetz formuliert ist. Doch ein amerikanischer Präsident ist er deswegen noch lange nicht. Mal sehen, ob am Rande des Botschafterempfangs morgen dazu was läuft.“
„Und?“, fragte Simon und blickte Timm an, der gerade hereingetreten war. Ich klickte auf „Post“ und nun stand der lange junge Mann im Mittelpunkt des Interesses.
„Na ja, zumindest ist der Pfarrer nicht mehr ihre ultimative Quelle der Wahrheit. Danke, das hat gutgetan. Also wenn du … äh, doch einen Hintergedanken hast, ich bin nicht verklemmt.“ Er lächelte mich an.
„Klar finde ich dich süß, aber eine Gute-Nacht-Umarmung reicht.“
Nachdem Timm in sein Zimmer gegangen war, fragte ich Simon, ob er es nicht etwas merkwürdig fand, dass unser Findelkind seiner Mutter erzähle, er sei im Militär gewesen, denn uns hatte er in den vergangenen Jahren gesagt, er arbeite für eine Menschenrechtsorganisation. Vielleicht sollten wir diesem Widerspruch auf den Grund gehen. Mein Mann meinte jedoch, wir sollten erst etwas Schlaf finden, denn morgen beim Botschafterempfang würde es bestimmt Schwierigkeiten geben. Außerdem war der Mord an meinem Großvater nach wie vor ungeklärt, das sei bestimmt wichtiger als das, was Timm seiner Mutter über sich erzählt hatte. Wer hat Sir Geoffrey geholfen und würde derjenige es wieder versuchen? Das Attentat hatte ja mir gegolten. In der Aufregung der vergangenen Tage hatte ich das völlig verdrängt.
Das undiplomatische Corps
Marineblaue Hosen aus Jeansstoff und weiße Hemden mit schwarzer Krawatte – man war wegen Großvater George ja noch in Trauer – reichten als Garderobe für den nächsten Morgen. Das Frühstück wurde im Grünen Salon sehr familiär gereicht, auch höhere Mitarbeiter aus den Büros waren da – ein Service des Palasts für den kaufmännischen und administrativen Mitarbeiterstab. Es wurde freundlich mit „Guten Morgen, Majestät,
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