Plötzlich Royal
komme“, nahm die Dame den Scherz auf, und der Butler lenkte sie nun in den Grünen Salon. Dort stand unser Timm in seinen Punk-Emo-Kleidern etwas verloren in einer Ecke und erschrak, als er seine Mutter erkannte.
„Du Ausreißer! Was macht du denn für Sachen?“, rief sie mütterlich besorgt. Ich schloss aus dem Tonfall, dass da schon noch Liebe mitschwang. Timm starrte nur ungläubig.
„Er hat heute dem Gärtner geholfen“, erklärte Simon.
Der Küchenaufzug klingelte.
„Du musst warten, bis der König sich gesetzt hat, Mum“, flüsterte Timm ihr zu. „Und nur essen, solange er isst.“
Ich fand es süß, dass in dem jungen Rebell doch ein Brite steckte. Der Butler dirigierte den Ehrengast Mrs Kent diskret auf meine rechte Seite, Timm links. Simon konnte ausnahmsweise einen Stuhl entfernt sitzen, schließlich ging es heute um Timm und seine Mutter.
„Nach Schweizer Art servieren wir als Vorspeise einen kleinen gemischten Salat an französischer Soße mit deutschem Brot“, erklärte der Butler, während Mrs Kent ein Wandgemälde bestaunte.
„Man wartet, bis allen serviert wurde, und dann eröffnet er mit dem ersten Bissen“, flüsterte Timm seiner Mutter wieder zu.
Ich spürte, dass es allen drei wichtig war, zu zeigen, dass sie Benehmen hatten. Simon gab diskret den Hinweis, dass die Anweisung, man solle aufhören zu essen, wenn der König nicht mehr isst, nicht für jeden kleinen Happen gelte, sondern nur, wenn ihm schon abserviert worden sei und man selbst den Teller noch vor sich habe.
Da das Essen als schweizerische Küche vorgestellt worden war, erzählten Simon und ich ein wenig von den Banken der Bahnhofstraße, dem Zürichsee, der Limmat, die im Vergleich zur Themse nur ein Bach sei, und vom Bergpanorama, das man von unserer Hochschule aus sehen könne. Letzeres war etwas übertrieben, doch die Dame hatte ihre Freude an unseren Erzählungen und staunte, dass wir schon oft auf Bergen von über zehntausend Fuß Höhe gewesen seien.
Nach dem Salat wurde je eine recht große Portion Zürcher-Geschnetzeltes serviert. Mit einem St. Emilion 2005 wurde auf den König beziehungsweise auf die Mutter angestoßen. Ich analysierte erst einmal vorsichtig mit der Gabel, ob die Engländer am Ende nicht Schaffleisch an Pfefferminzsoße serviert hatten. Aber es schien echt zu sein, auch die „Chnöpfli“ – Spätzle nach Schweizer Art – dazu.
„Die Engländer haben es tatsächlich hingekriegt“, rutschte es mir erstaunt heraus. Alle lachten und sogar der Butler hob kurz die Mundwinkel und meinte, er werde das Kompliment an die Küche weiterleiten.
Eigentlich aß ich meist eher zu schnell als zu langsam und musste mich deshalb bewusst zur Langsamkeit zwingen, damit ich nicht als Erster fertig war, denn die Dame hatte nicht die gesündesten Zähne, wie mir schien. Auch redete sie zwischen den Happen viel über ihr Wohnquartier und was sich dort mittlerweile für Gesindel rumtreibe. Timm zischte ihr zu, man rede mit dem König in kurzen, knappen Statements und labere ihn nicht mit Quartiertratsch voll. Da Timm nicht den ganzen Teller essen wollte, war ihr nächstes Thema klar: Magersucht. Das sei ja nicht normal, wenn drei junge Männer zusammen so viel wiegen würden wie sie selbst.
„Mum, du bist zu dick, nicht wir zu dünn“, protestierte Timm zum ersten Mal etwas lauter. Seine Mutter wollte zur Gegenrede ansetzen, wurde sich dann aber wieder bewusst, wo sie sich aufhielt. Sie fragte nun stattdessen, ob es stimme, dass die Schweizer auch eine Armee hätten und nach Afghanistan müssten.
„Mum, die Schweizer waren nicht so blöd wie wir. Die sind damals nicht George W. Bush hinterhergehechelt wie ein Schoßhündchen.“
Timms Mutter schüttelte den Kopf über die Redeweise ihres Nachwuchses. Es wurde noch eine kleine Portion Zitronensorbet an etwas Kirsch serviert. Sie fragte Simon und mich nun nach unserem Dienst in der Schweizer Armee und erzählte, ohne unsere Antwort abzuwarten, dass ihr Timm auch bei den Soldaten gewesen sei, aber als zu dünn vorzeitig entlassen worden war. Seither hätte, nach verschiedenen Zeitungsartikeln zu urteilen, Timm offenbar nichts als Flausen im Kopf gehabt . Die Nachbarn hätten über Timms Männerbekanntschaften getratscht. Sie hätte sich deswegen so geschämt. Es wäre deshalb einfach nicht gegangen, dass Timm bei ihr zu Hause gewohnt hätte.
Vielleicht war sein Outfit sein innerer Protest gegen die Homophobie im Umfeld seiner Mutter?
„Es war ein
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