Plötzlich Royal
nur nicht die Fassung verlieren.
„Ich will einen Raum außer Hörweite der Presse“, verlangte Cramer. Wir gingen schnell eine Treppe in den oberen Stock. Der grau wie ein Gespenst gewordene Earl schloss das Nelson-Zimmer auf und wollte das Licht einschalten.
„Jalousien runter, bevor Licht gemacht wird!“, befahl ich ihm barsch. Der Earl eilte im Halbdunkel zu den Knöpfen, die Rollos gingen nach unten. Dann schaltete er den elektrischen Kronleuchter ein und schloss die Tür.
„Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht, Binnester?“, grollte Cramer.
„Ich dachte, es sei neuerdings Mode, sich als gleichgeschlechtliches Paar zu zeigen, und nun ist es auch wieder nicht recht. Aber was haben Sie erwartet, Premierminister? Dieser Kniefall vor dem Schweizer, wozu? Er hat den Thron vermutlich nicht einmal gewollt“, gab Binnester nicht schreiend, aber dennoch in lautem Tonfall zurück.
„Sie sind ein Ar…, ich meine, Idiot, Eure Lordschaft“, brauste Cramer auf. „Ich und die Außenministerin haben uns tagelang den Mund fusselig telefoniert, um diesen Kompromiss mit der Sitzordnung auszuhandeln.“ Der rötlich angelaufene Premier deutete unhöflich auf mich. „Ihm hätte ich es noch abgekauft, dass er aus gut gemeinter Weltverbesserermentalität die Sitzordnung ändert, aber von Ihnen als Lord Chamberlain erwarte ich Fingerspitzengefühl und nicht diplomatische Sabotage!“
Der Earl ging mit versteinertem Gesicht und ohne Cramer oder mich anzusehen zur Tür, öffnete sie und schickte sich an, hinauszugehen.
„Ihre Demission will ich schriftlich haben, Earl Binnester. Beim kleinsten weiteren Verstoß werde ich sie annehmen“, wetterte Cramer. Dass der Lord Chamberlain vom Premier bestellt wurde, hatte ich nicht gewusst, oder überschritt Cramer im Frust einfach seine Kompetenzen, um jemanden bluten zu sehen? Der Earl verneigte sich leicht und ging stolz und wortlos raus.
Obwohl ich nicht sagen konnte, Earl Binnester zu mögen, empfand ich es doch als unfair von Cramer, nun dem Earl die Schuld an dem Desaster zu geben. Vielleicht war das Politik: Geht etwas schief, muss ein Kopf rollen.
„Sascha, was machen wir jetzt? Verflucht!“ Cramer war ganz von der Rolle.
„Wir sagen, der Lord Chamberlain hätte in bester Absicht gehandelt, und ich gehe Simon suchen. Kommen Sie mit?“, fragte ich und ging nun auch wieder in den Flur hinaus. Cholerische Anfälle machten alles nur schlimmer, falls es überhaupt noch schlimmer ging. Andererseits, was hatte sich Cramer vorgestellt? Ein Minister konnte sein Amt und sein Privatleben voneinander trennen, doch von einem König erwartete man ein vorbildliches Privatleben, und die Welt war sich sehr uneins darüber, was eine anständige Lebensführung beinhaltete.
Auf dem Flur kam uns Grant entgegen.
„Sascha kann nichts dafür, es war Binnesters gut gemeinte Idee“, sagte Cramer und griff damit meinen Vorschlag von eben auf. Er ging wohl zu Recht davon aus, dass inzwischen der ganze Palast vom Verlauf des Banketts wusste.
„Wo ist Simon?“, fragte ich Grant.
„Beim … äh … Emo, wie Sie ihn nennen. Ich habe Prince Simon abgefangen und ihn überredet, zumindest nicht auf eigene Faust nach Zürich zu fliegen.“
„Wir gehen zu Simon. Jetzt bloß niemandem begegnen.“
Ich ging rasch in unsere Suite und zog eine Jeans an, während Cramer mit seiner Außenministerin telefonierte. Dabei hörte ich nicht zu, aber Cramers Laune hatte sich nach kurzer Erholung wieder verschlechtert. Mit meinem Premierminister ging ich anschließend durch teilweise dunkle Flure zu den Unterkünften des Hilfspersonals. Einige Kellner zogen gerade ihre Alltagskleider an und starrten uns beiden nur ungläubig nach. Im Aufenthaltsraum saßen Simon und Timm eng zusammen. Simon hatte rote Augen und sah gar nicht gut aus. In einigem Abstand zu den beiden Kuschelnden hatte sich Grant mit Laptop installiert, falls wir eine Presseerklärung zum Vorfall diktieren wollten.
„Probleme, Tory-Boss?“, fragte Timm.
„Klugscheißer!“, grollte Cramer zurück.
„Warum wollt ihr diesen Schwulenhassern in den Arsch kriechen?“, gab Timm zurück.
„Geht es etwas gewählter?“ Cramer ließ sich auf einen Stuhl fallen.
„Im Grunde hat Timm recht. Ich hab meinen Job gemacht, vielleicht nicht gerade elegant, aber ich bin nicht hinausstolziert, habe nicht rumgetobt. Ich habe nur gemacht, was man mir gesagt hat“, wandte ich ein.
„Sascha, das ist nicht so simpel“, meinte Timm.
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