Plötzlich Royal
wiederherzustellen und auf unseren lokalen Rechner herüberzukopieren. Dann klickte ich eine der geretteten Aufzeichnungen an. Das erste Gespräch war von John, der am Tag der Aufzeichnung anscheinend Strohwitwer war und sich charmante Begleitung zur Überbrückung besorgte. Als das Gespräch mit der professionellen Dame etwas pikanter wurde, klickte ich das Fenster des Player zu. Das ging uns nun wirklich nichts an und zuhören war vermutlich sogar illegal. Timm warnte uns, dass die Zugriffe bestimmt automatisch geloggt würden. Dieses Protokoll könnte vielleicht auch der vermutete Terrorist einsehen. Wir benötigten also eine Möglichkeit, uns auf O1984 umzusehen, die sich nicht ohne Weiteres zu uns zurückverfolgen ließ.
Simon und Timm hatten eine Idee, wie sie einen solchen Zugriff einrichten könnten. Sie wollten eine inoffizielle Verbindung von außen in das interne Netz des Palasts bauen. Wir drei gingen ins Mr Grants Büro, wo niemand mehr anwesend war. In einem mit „Informatik“ beschrifteten Schrank fanden wir eine ganze Sammlung von Laptops, die schätzungsweise zwei Jahre alt waren. Einer der Computer stach mir gleich ins Auge: Es war mit einem schmuddeligen Aufkleber versehen: „Dual-Boot“. Timm fischte noch eine WLAN-Antenne mit USB-Anschluss heraus und bat Simon und mich, einen Moment zu warten. Er müsse rasch in der Küche etwas hohlen.
Mit einer leeren, vorne abgeschnittenen Blechdose und etwas Werkzeug kam er kurz darauf zurück.
„Es war gar nicht einfach, in der Vorratskammer der Küche eine Passende zu finden.“
„Er will sich mit der Blechdose ein Richtfunk-WLAN basteln“, flüsterte mir mein Mann ins Ohr, damit die Erklärung nicht von den Mikrophonen aufgefangen werden sollte.
Wir stiegen zuerst in den Keller hinunter, um im Computerraum die Festplatten von O1984 abzuschalten, damit die Aufzeichnungen der Überwachungsanlagen nicht mehr abgespeichert werden konnten und so unser Vorhaben unbeobachtet bleiben würde. Danach fuhren wir zu dritt im Fahrstuhl ganz nach oben, ausgerüstet mit dem Dual-Boot-Laptop, einem Netzteil und jeder Menge Kabel, und suchten einen gegen das Victoria Memorial gehenden Salon auf, der schräg oberhalb des Balkons lag, von dem die Königsfamilie bei Hochzeiten zu winken pflegte. Der Salon war leergeräumt, ein paar Stellwände und Kisten mit Beschriftungen wie „Ausstellungs-Scheinwerfer“ sowie anderer Kram standen in einer Ecke. Vielleicht sollte hier oben eine Sonderausstellung eingerichtet werden? Der Kurator hatte jedenfalls auf seiner Führung nichts davon erwähnt.
Timm ging zielsicher zu einer Telefon- und Ethernetdose. Er klopfte von ihr ausgehend die Wand ab, verlangte eine Leiter und konnte mit unserer Hilfe ein tischplattengroßes Stück der Decke herausnehmen. Offenbar gab es hier einen hohen Spalt zwischen der tragenden Decke und dem Gips der Gemälde und der Stuckatur. In diesem Zwischenboden verliefen auch die Stromkabel zu den Leuchtern. Solche Spalte boten bestimmt auch in anderen Räumen des Palastes den Platz, um die Mikrophone und Kameras von „Big Brother“ zu verstecken.
Simon und Timm eröffneten eine Technik-Bastelstunde, die mich an die alte Fernsehserie MacGyver mit Richard Dean Anderson in der Hauptrolle erinnerte. Timm begann die mitgebrachte Blechbüchse zu bearbeiten. Er bohrte in einem genau abgemessenen Abstand zum Büchsenboden ein Loch in die Dosenwand und steckte durch dieses Loch ein gebasteltes Stück Antenne hindurch, das er mit dem mitgebrachten USB-WLAN verband. Danach verschraubte er alles fest mit der Dose. Damit wollten er und Simon das Laptop mit dem Netzwerk des Ritz verbinden. Das Metall der Dose verhinderte, dass innerhalb des Palastes der Sender im Drahtlosnetzwerk sichtbar wäre und verstärkte die WLAN-Signale des Laptops in Richtung der offenen Seite der Büchse.
Timm verlangte die Zugangsdaten des Ritz-WLAN. Ich reichte ihm die Visitenkarte mit den entsprechenden Informationen hoch, die ich vor ein paar Tagen von der Hoteldame erhalten hatte. Er und Simon versuchten nun mit ihrer Heimwerker-Richtstrahlantenne in der Enge des Spalts das Ritz zu empfangen. Es dauerte etwas, bis die beiden ihre gebastelte Antenne erfolgreich ausgerichtet hatten.
Während Simon sich nun von Timm erklären ließ, was der genau auf dem Laptop installiere, um einen zweiten Zugang vom Internet in den Palast aufzumachen, beschränkte sich mein Beitrag darauf, ein Strom- und ein Ethernetkabel vom Laptop durch die
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