Plötzlich Royal
zumindest für die Realm-Staaten ja auch zutrifft“, erklärte ich ihm, doch ich fühlte, dass sich hier wohl auch ein allgemeiner Hass auf die liberale westliche Gesellschaft entlud. Die unterschwelligen Verbindungen zwischen sexueller Gewalt gegen Kinder einerseits und Homosexuellen andererseits, die manchmal die christlichen Kirchen herstellten, mochten verstärkend gewirkt haben. Doch es mussten auch handfeste Machtinteressen dahinterstehen, dass der Sturm so heftig losgebrochen war.
Ich griff zum Telefon, drückte die Taste für den Butler und bestellte den MI6-Chef für Morgen zum Abendessen, auf formelle Abendgarderobe werde verzichtet. Sicher entsprach solch eine Vorladung nicht der britischen Höflichkeit, doch ähnliche Puppen wurden auch in Teheran, Harare und in Kingston verbrannt.
In den deutschen Medien berichtete man etwas hilflos, da die Multikulti-Korrektheit einer Berichterstattung über die Schwulenverfolgung immer schon im Weg gestanden hatte. Die konservativ-christlichen Leute glaubten ja nach wie vor, Schwul- oder Lesbischsein sei wie das Tragen von Jeans eine westliche Mode, die ein Staat erlauben oder verbieten könne. Das sei eben Demokratie und Toleranz.
Ich wollte mir keine weiteren Nachrichten ansehen und meinte, wir sollten hinunter ins Büro. Die Welt war meinetwegen gerade dabei, überzuschnappen, und ich lag mit zwei Kerlen auf dem Bett.
Draußen war es bereits dunkel, und als wir im Büroflur nach hinten gingen, bemerkten wir, dass bei Grant noch, oder besser gesagt, wieder Licht brannte. Er war zurückgekehrt, und auch die Post-Nanny saß noch bei ihm im Büro. Wir traten ein. Simon und Timm erhielten von Grant den Auftrag, E-Mails von besorgten Politikern zu beantworten. Knapp, höflich, standfest und keinesfalls gegen Moslems oder Schwarze pauschalisieren, so wies ich die beiden an. Timm fasste ein etwas älteres Laptop und ging voran in unser Büro, Simon und ich folgten ihm. Mir traute sich Grant nicht, einen Auftrag zu geben. Es war mir auch recht, denn ich fühlte mich mit jeder Minute mieser. Es ging ja nicht um eine politische Entscheidung oder einen unbedachten Satz, der diese Krise ausgelöst hatte, sondern allein um meine Natur.
Cramer hatte uns drei ja mehr oder weniger den Auftrag erteilt, nach einem Spion oder Terroristenhelfer zu suchen. Vielleicht wäre es eine gute Idee, mit den hier versteckten Mikrophonen und Kameras zu beginnen. Womöglich könnte etwas Wichtiges aufgezeichnet worden sein.
„Timm, wie viel hat dir John über die Abhöranlagen im Palast erzählt?“, flüsterte ich ihm ins Ohr.
„Laut John werden die Privaträume und das Fünfuhrtee-Zimmer nicht abgehört, doch es könnte ja noch ein anderer Abhöranlagen installiert haben, wer weiß. Gespräche aus den Büros und der Küche sowie Telefonate werden bei Bruno auf einem Server gestreamt und nach sechs Monaten automatisch gelöscht. Bei der Queen habe man nur sehr stichprobenhaft reingehört. Jetzt könnte es häufiger sein.“
Das klang plausibel. Es dauerte nicht lange, bis wir mit Timms Hilfe einen versteckten Daten-Server mit dem Namen O1984 fanden. Orwells Roman 1984 , darin überwachte „Big Brother“ ja auch alles. Das musste es sein! Auf O1984 herrschte eine gute Übersicht, da sich hier ja der Geheimdienst zurechtfinden musste und nicht nur der Berufschaot Bruno. Hier wurden Aufzeichnungen von Telefonen, Mikrofonen und Kameras gespeichert. Um Platz zu sparen, schienen an die Mikrofone und Kameras Bewegungsmelder gekoppelt zu sein. Es wurde also nur aufgezeichnet, wenn etwas geschah. Eine Ebene tiefer war alles nach Telefonnummer oder Raumnummer sortiert. Glücklicherweise hatte dort jemand den eigentlich geheimen Detailplan gleich als png-Datei abgelegt. Anscheinend war im Buckingham-Palast in Wirklichkeit „Big Brother“ König. Ich konnte das ruckelnde Filmchen einer Fischaugenkamera in der Küche anschauen. Dort wurde gerade eine Gemüselasagne vorbereitet. Na ja, unter kalorienarmer Kost verstand ich eigentlich was anderes.
Wenn jedoch alle wichtigen Leute auf den Server draufkamen, wie viel waren dann die Aufzeichnungen wert? Wie bei Windows und Mac-OS auch gab es einen Papierkorb, in dem gelöschte Dateien aufbewahrt wurden, bevor sie endgültig zerstört wurden. Möglicherweise waren sich nicht alle Benutzer darüber im Klaren, dass man vermeintlich gelöschte Gespräche und Aufzeichnungen wieder zurückholen konnte. So war es mir möglich, den Papierkorbinhalt
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