Zukunft stammte? Das wusste doch nicht mal Shakespeare.
«Und, wie sieht es in dieser Stadt aus?»
«Das willst du nicht wissen.»
«Es muss da wunderbar sein», strahlte Dee.
«Wunderbar ist vielleicht nicht das richtige Wort...»
«Phantastisch?»
«Hmm ... wenn man mit
meint...»
«Du musst mir alles über Wuppertal erzählen!» Dee war höchstwahrscheinlich der Einzige in der gesamten Geschichte der Menschheit, der je diesen Satz gesagt hatte.
«Ich möchte dir eigentlich nicht davon erzählen», antwortete ich vorsichtig.
«Du möchtest das nicht?» Er war nun sehr enttäuscht.
«Ich glaube... das ist zu gefährlich...», versuchte ich zu erklären.
Der Alchemist überlegte eine Weile, dann nickte er: «Vielleicht hast du recht. Das ist zu gefährlich. Sowohl für mich - ich könnte mit dem Wissen die Welt beherrschen - als auch für Wuppertal.»
Jetzt war klar: Er wusste, dass ich aus der Zukunft stammte. Doch woher?
«In Wuppertal kann es zwar nicht viel schlimmer werden», sagte ich, «aber ich freu mich, dass Sie es verstehen.»
«Du bist sehr weise, Rosa», fand der Alchemist. Und damit war er wohl auch der erste Mensch in der Geschichte, der diesen Satz über mich sagte.
Aber...wenn ich wirklich war, dann war ich anscheinend immer weniger ein Klischee. Und das machte mich nun auch ein bisschen stolz.
«Ich werde dich und Master Shakespeare nun bald voneinander trennen», kündigte der Alchemist an.
«Ähem, wie genau wollen Sie mich denn aus Shakespeares Körper vertreiben?», fragte ich, glaubte ich doch nicht wirklich, dass er dazu in der Lage war.
«Ich lebte lange Jahre bei den Shinyen-Mönchen in Tibet», antwortete er. «Und dort habe ich erfahren, dass es bei der altehrwürdigen Kunst der Rückführung Probleme geben kann.»
O mein Gott, er kannte die Mönche, die den Hypnotiseur Prospero ausgebildet hatten! Er wusste von den Rückführungen! Und davon, dass es bei diesen Rückführungen auch zu Schwierigkeiten kommen konnte, wie die, in der ich mit Shakespeare gelandet war. Womöglich hatten die Mönche sogar Berichte aufgeschrieben, von Menschen, die unsere Zukunft kannten, gar Landkarten unserer Zeit erstellt, in denen auch Wuppertal aufgeführt war. Mir wurde heiß und kalt: Dieser Alchemist konnte mir vielleicht tatsächlich helfen! Und die Shinyen-Mönche hatten ihm erzählt, dass Seelen aus der Zukunft zu Besuch kommen konnten.
«Ich werde jetzt ein Pendel holen, um dich aus dem fremden Körper zu befreien.»
Er ging nun aus dem Raum in eine kleine Nebenkammer, um ein Pendel zu holen. Völlig aufgeregt sagte ich zu Shakespeare: «Ich glaube, dieser Mann kann uns wirklich retten.»
Aber Shakespeare antwortete mir nicht.
Ich schwieg die ganze Zeit, denn mich plagte das schlechte Gewissen: Ich plante Rosas mögliche Vernichtung, hatte doch der Alchemist bei unserem letzten Treffen zu mir gesagt, es wäre durchaus möglich, dass Rosas Geist dabei ausgelöscht wurde. Ich konnte mir das selbst gegenüber nur damit rechtfertigen, dass ich mit ihrem Geist in meinem Leib meinen Kindern gegenüber kein guter Vater sein konnte. Eingestanden, ich war auch derzeit kein guter Vater, in dem Sinne, wie Heinrich der Achte auch kein herausragender Ehemann gewesen war, aber ich beschloss, mich meinen Sprösslingen gegenüber in Zukunft zu bessern, damit die Auslöschung von Rosas Geist auch eine tiefere Rechtfertigung bekommen würde.
Dass Shakespeare lediglich schwieg und nicht etwa schlummerte, spürte ich ganz genau. Ich wollte ihn aufmuntern, irgendwie den Schmerz, den er durch Annes Tod erlebt hatte, lindern. Ich hatte ja durch meine Reise in die Vergangenheit eine neue Perspektive auf die Dinge bekommen, und falls ich Shakespeare nun tatsächlich verlassen sollte, wollte ich ihm gerne etwas von dem Gelernten zum Abschied mitgeben. Zum Beispiel, dass es keine gute Idee ist, seine wenigen Jahre, die man auf der Erde hat, zu verplempern. Daher erklärte ich ihm: «Seitdem ich hier bei dir bin, habe ich viel über das Leben erfahren.»
«Und um was handelt es sich dabei?», fragte ich, nun doch ein wenig neugierig.
«Man hat zu wenig Zeit, um das Leben mit Traurigkeit zu vergeuden.»
«Das klingt weise», musste ich zugestehen. «Etwas morbide. Aber weise.»
«Verschwende also deine Zeit nicht damit, nach hinten zu sehen», forderte ich ihn auf.
Sprach Rosa damit nicht etwas Wahres aus? Womöglich sollte ich in der