Ploetzlich Shakespeare
Shakespeare handele.
Als ich mit meinem Vortrag zu Ende war, lachte die alte, verkniffene Frau mit einem Male laut prustend los. Dabei japste sie zwischendrin Sätze wie: «Das ist ja wirklich köstlich», «Ich kann gar nicht mehr aufhören zu lachen», «So habe ich seit 1972 nicht mehr gelacht» und «Au verdammt, jetzt hab ich mir in die Hose gepinkelt».
Ich beschloss daraufhin, die Sache mit Shakespeare niemandem mehr zu erzählen, nicht mal Holgi. So wollte ich nicht noch einmal ausgelacht werden. Ich verließ das Schulgebäude und atmete durch. Ein unglaubliches Glücksgefühl durchströmte mich: Dass ich den Mut gefunden hatte, der künstlerischen Bestimmung meiner Seele, dem Schreiben, zu folgen, verlieh mir einen unglaublichen Schwung. Wie berauscht ging ich durch die Straßen. So mussten sich die Sklaven gefühlt haben, als sie von Abraham Lincoln befreit von den Feldern gingen.
Mitten in mein Glücksgefühl hinein klingelte mein Handy. Dran war Holgi, und noch bevor er wirklich etwas sagen konnte, besann ich mich, dass mir in der Vergangenheit klar geworden war, wie sehr ich ihn vernachlässigt hatte. So plapperte ich hastig los: Ich erzählte ihm, dass er mein bester Freund sei, dass ich das nie genug gewürdigt hätte und ich ihn nie, nie, nie wieder abweisen würde, wenn er nachts zu mir käme, weil ihn die mit einem russischen Diskuswerfer betrogen habe ...
Als ich mit meinem Vortrag zu Ende war, weinte Holgi gerührt und schluchzte Sätze ins Telefon wie: «Das ist schön», «Ich liebe dich auch, Rosa», «Es war kein russischer Diskus-, sondern ein russischer Hammerwerfer», «Eigentlich kam er auch aus Albanien», «Aber er hatte einen richtigen Hammer», «So einen Hammer hatte ich noch nie gesehen», «Der verlieh dem Begriff < hammerhart > eine völlig neue Bedeutung ...»
Ich hörte mir alles an und tröstete ihn erneut, gab ihm Ratschläge, spendete Trost und fühlte mich gut dabei. Die Liebe zu einem Freund, gemeinsam mit der Liebe zu dem Schreiben, ließ mein Herz vor Freude fast platzen. Ich war dabei, mich endgültig zu ändern. Bye-bye, Klischee!
Holgi schnäuzte in ein Taschentuch und fragte dann: «Wann wollen wir denn heute Nachmittag los?»
«Los?»
«Zur Hochzeit von Jan.» Hello again, Klischee.
45
Plötzlich war alles wieder da, was ich seit meiner Rückkehr aus der Vergangenheit komplett verdrängt hatte: dass Jan und Olivia heute heiraten wollten und dass ich immer noch nicht wusste, ob die beiden nun die durch die Jahrhunderte füreinander bestimmten Seelen waren. Oder ob Jan und ich in ewiger Liebe miteinander verbunden sein sollten. Klar, Jan hatte mir in der Zahnarztpraxis gestern (es kam mir durch den Trip in die Vergangenheit sehr viel länger vor) klipp und klar gesagt, dass Olivia und er füreinander bestimmt waren, und mir was von vorgefaselt. Doch Reife hin, Reife her - Essex, also Jans Seele, wollte mich in der Vergangenheit küssen, und das, obwohl ich mich in einem Männerkörper befunden hatte! Also bestand doch eine Wahrscheinlichkeit, dass unsere Seelen wirklich füreinander bestimmt waren.
Ich bat Holgi, mich nachher abzuholen, klappte das Handy zu, fuhr nach Hause, kochte mir eine schöne Kanne Tee und machte mich chic für die Hochzeit. Dabei wünschte ich mir, Shakespeares Meinung zu hören, vor der ich noch bei unserem Alchemistenbesuch so viel Angst gehabt hatte. Was würde er mir raten: Gehörten Jan und ich zusammen? Oder war Olivia für ihn bestimmt? Ich wollte unbedingt mit jemandem darüber reden, der das alles miterlebt hatte und es daher beurteilen konnte. Und während ich mir so wünschte, mit Shakespeare zu quatschen, merkte ich mit einem Male, wie sehr ich ihn vermisste.
Als ich noch in der Vergangenheit weilte, ging mir der Barde zwar gehörig auf den Geist, aber er war mir nahe. Gut, das lag wohl hauptsächlich daran, dass wir uns zusammen in einem Körper befunden hatten, aber mit ihm hatte ich mich das allererste Mal in meinem Leben nicht allein gefühlt. Selbst in den Jahren, in denen ich mit Jan zusammen war, hatte ich mich ja sehr oft einsam gefühlt, weil ich immer den Eindruck hatte, ich könne ihm nicht das Wasser reichen.
Mein Blick fiel auf meine Geschichten, die ich in der Nacht wie im Wahn runtergeschrieben hatte. Wie Shakespeare sie wohl finden würde? Vielleicht hätten wir sie gemeinsam weiterschreiben können. Oder unser Sommertag-Sonett? Mit einem Male kam mir ein
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