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Ploetzlich Shakespeare

Ploetzlich Shakespeare

Titel: Ploetzlich Shakespeare Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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meinen, langsam und gefühlvoll. Dabei versuchte ich mir die ganze Zeit zu sagen: Du rettest ein Leben, Rosa, du rettest ein Leben... von daher ist es sicherlich keine allzu gute Idee, unangenehm berührt wegzuzucken.
    Doch bevor es mit dem leidenschaftlichen Küssen erst so richtig losgehen konnte, hörte ich William:
    «Ich erlebe es ja normalerweise gerne, wenn zwei Frauen sich küssen... aber hier befindet sich eine der beiden Damen in meinem Leib...»
    Shakespeare war wieder aufgewacht, und auch wenn ich mich eigentlich über seine Anwesenheit freute - ich hatte ihn in den letzten Stunden doch arg vermisst -, ließ sein Timing mal wieder zu wünschen übrig. Ich konnte seine Einmischung in diesem Augenblick wirklich nicht gebrauchen. Daher antwortete ich: «Bitte halte den Mund.»
    Die Gräfin drückte mich von sich und fragte empört: «Wie beliebst du zu meinen?»
    Es dürfte jetzt unmöglich werden, ihr weiter Gefühle vorzuspielen, besonders wenn Shakespeare dabei auch noch Kommentare abgab. So entschied ich mich für eine andere Taktik, eine psychologisch gemeinere: «Gräfin, ich habe gelogen, ich liebe Sie nicht.»
    Erschrocken blickte sie mich an.
    «Ich kann Sie nicht lieben», fuhr ich fort. «Aber wenn Sie jetzt ertrinken, wird mich die Queen in den Tower werfen lassen.»
    Die Gräfin blickte noch erschrockener drein, sie hatte nun Angst um mich.
    «Und wenn Sie nicht wollen, dass ich dort elendig sterbe, dann kommen Sie mit mir zu der Feier auf das Schiff von Admiral Drake.»
    Maria schwieg eine Weile, dann erklärte sie tapfer: «Ich werde dorthin kommen, dir zuliebe.»
    Es hatte geklappt. Aber ich kam mir mies vor, hatte ich sie doch mit ihren Gefühlen zu mir manipuliert. Shakespeare spürte, dass ich ein schlechtes Gewissen hatte, und fand für mich tröstende Worte:
    «Du hast ihr damit das Leben gerettet. Nicht immer heiligt der Zweck die Mittel - zum Beispiel tut er dies nicht, wenn man zum Zwecke der Verhütung das Zölibat wählt -, aber in diesem Falle ist es so.»
    Shakespeare tat mir so gut. Hätten wir jetzt zwei Körper gehabt, ich hätte ihn glatt umarmt.
    «Du weißt, Rosa, diese edle Dame ist nicht wirklich in dich ...in mich ...in uns verliebt. Sie ist lediglich ob des Todes ihres Bruders sehr verwirrt.»
    Auch damit hatte Shakespeare recht. Und ich hoffte inständig, dass sie durch Essex wieder glücklich werden und er ihr helfen könnte, den Schmerz über den Tod des Bruders zu lindern. Denn darum ging es wohl auch in der Liebe: die Wunden, die einem das Leben schlägt, zu heilen.

55
    Als ich mit tropfenden Stiefeln in der fahrenden Kutsche saß, war ich etwas hoffnungsfroher, dass ich Essex und Maria am Abend auf dem Admiralsschiff zusammenbringen könnte. Doch kaum wollte ich mich erleichtert zurücklehnen, mahnte Shakespeare, dass wir noch eine andere Aufgabe zu lösen hatten:
    «Wenn Walsingham heute bei dem Fest nicht das Sonett bekommt, das er bei uns in Auftrag gab, wird er uns in den Tower werfen lassen. Wir müssen es so schnell wie möglich zu Ende schreiben, wenn wir verhindern wollen, dass uns die Folterer mit ihren Zangen vorführen, wie lang unsere Gedärme sind.»
    «Manchmal wünsche ich mir, du würdest weniger bildlich reden», antwortete ich schluckend und erklärte dann: «Zu dem Sonett hab ich mir übrigens ein paar Gedanken gemacht. Wir brauchen jemand Konkreten als Adressaten für unsere Zeilen.»
    «Jemand Konkreten?», fragte ich irritiert.
    «Eine Person, für die du tief empfindest.»
    «Wen hast du denn da im Sinn?»
    Als Antwort beugte ich mich aus dem Kutschenfenster und schrie in Richtung Kutschbock: «Hop-Sing, fahr uns nach Stratford-upon-Avon!»
     
    Auf der Fahrt wollte Shakespeare immer wieder von mir erfahren, zu wem ich mit ihm hinwollte: Zu den Kindern? Zu Lorenzo? Zu dem Schweineliebhaber Tybalt? Aber natürlich ahnte er, wen wir besuchen würden. Das spürte ich genau, waren wir doch mittlerweile so eng miteinander verbunden, dass ich selbst Shakespeares Ängste, die er nicht artikulieren mochte, wahrnehmen konnte.
    «Wo soll ich jetzt hinfahlen?», fragte Hop-Sing, als die Kutsche in das kleine Städtchen rollte.
    «Zum Friedhof», antwortete ich.
    «Das wild ja immel lustigel», antwortete Hop-Sing süßsauer. Offensichtlich kannte man schon im China des sechzehnten Jahrhunderts das Konzept des .
    «Ich war noch nie an Annes Grab», protestierte ich. «Und ich will da auch niemals hin!»
    «Du hast keine Wahl. Du musst dahin,

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