Ploetzlich Shakespeare
Beine und musste feststellen: Das stimmte ja!
«Er ist nicht klein», protestierte ich, «er reagiert nur immer so auf kaltes Wasser!»
Ich beschloss, auf das Thema nicht näher einzugehen, und zog mir die Sachen an, während Kempe laut lachend davonging -
«Abgesehen davon kommt es auf die Größe nicht an, oder, Rosa ? Das haben mir bisher sämtliche Frauen bestätigt.»
Lächelnd dachte ich bei mir: Lieber Shakespeare, es gibt Dinge, bei denen sämtliche Frauen lügen.
«Ich hob dich was gefragt, Rosa!»
«Ihr Männer habt vielleicht Probleme», schmunzelte ich und legte mir die Halskrause um. Sie war ziemlich unbequem. Schicke Kleidung war wohl in keinem Jahrhundert praktisch.
«Ihr Frauen macht euch doch ebenfalls unablässig Gedanken über die Schwachstellen eures Körpers», entgegnete ich empört.
«Das ist wahr», gab ich zu und dachte an meinen Bauch. Und meinen zu großen Hintern. Und an weitere Körperstellen, an die ich gar nicht denken wollte.
«Rosa... Mir kommt mit einem Mal ein überraschender Gedanke!»
«Und welcher?»
«Männer und Frauen sind dem Prinzip nach doch völlig gleich.»
«Was?», fragte ich überrascht.
«Selbst wenn es für euch Frauen außerordentlich verblüffend sein mag... auch wir Männer haben Gefühle.»
«Dies ist in der Tat verblüffend», spottete ich.
«Doch ist es wahr. Auch wir empfinden Trauer, Freude, Liebe, Wut und, ja, selbst die Unsicherheit, was den eigenen Körper betrifft, ist uns gemein. Denn wir sind alles Menschenwesen.»
Ja, es war erstaunlich, was er da sagte. Doch hatte ich es bei Shakespeare in Stratford selbst erlebt, wie tief auch die Emotionen von Männern sein konnten. Dass die beiden Geschlechter sich so ähnlich waren, hatte ich mir noch nie zuvor vergegenwärtigt. Aber jetzt begriff ich es: Auch wenn in unserer Zeit ständig über den Unterschied der Geschlechter palavert wurde und sich Studien, Filme und Selbsthilfebücher damit befassten, gab es viel mehr, das uns verband, als uns trennte.
«Die Seele des Menschen ist weder weiblich noch männlich», redete ich weiter.
«Das ... das ist eine schöne Erkenntnis», lächelte ich sanft.
«Und die habe ich nur dir zu verdanken», erklärte ich.
«Bedank dich nicht bei mir, sondern bei den ollen Shinyen-Mönchen», lächelte ich.
«Nein, ich bedanke mich bei dir, Rosa! Und ich bin gespannt, was ich noch alles Großartiges mit dir gemeinsam über das Leben erfahren werde.»
Shakespeares Stimme klang bei diesem Satz liebevoll, und sie erwärmte mir das Herz. Auch ich freute mich auf alles, was ich mit ihm gemeinsam noch erleben durfte. Mein Leben mit Shakespeare erschien mir als ein einziges großes Abenteuer des Menschseins. Ein Abenteuer, das am besten nie enden sollte. Kaum hatte ich das gedacht, realisierte ich endgültig: Ich hatte keine Lust mehr, in die Gegenwart zurückzukehren. Ich wollte mein Leben hier verbringen. Im alten, turbulenten, wahnsinnig aufregenden und stimulierenden London. Mit dem Mann, der mir mehr gegeben hatte als jeder andere Mensch. William Shakespeare!
57
Schwungvoll ging ich auf das prächtige Armada-Schiff zu, das an einem Kai der Themse lag und von mit schmucken Ausgehuniformen herausgeputzten Soldaten bewacht wurde, die sich sicher sehr gut halb nackt in Frauenmagazinen gemacht hätten. Die Masten des Schiffes funkelten in der Sonne, die Segel waren gerafft, und die Fahne Englands flatterte im Sommerwind. Es war unglaublich: Ausgerechnet ich, Rosa, geboren in Wuppertal, ging auf ein königliches Fest, und das auch noch in dem Körper eines Mannes, mit dem ich den Rest meiner Existenz verbringen wollte. Es musste wunderbar sein, zusammen das «Globe Theatro zu errichten oder und umzuschreiben. (Ich würde in die Stücke allerdings noch einen Urheberrechtsvermerk des Autors einbauen, der es zukünftigen Stadttheaterregisseuren untersagt, Aufführungen mit nackten Schauspielern zu inszenieren.) Wir würden die Menschen zum Lachen bringen. Zum Jubeln. Und zum Weinen.
An der Zukunft würde ich außer Holgi nichts vermissen, aber ich hatte ja mit Kempe eine frühere, derbere Version von ihm an meiner Seite. Und was meinen Körper betraf: Na ja, das Einzige, worauf ich würde verzichten müssen, wäre der Sex. Aber der, so versuchte ich mir einzureden, war ja ohnehin überbewertet. Die Hälfte meiner Sexerlebnisse würde ich rückwirkend gerne gegen Kinokarten eintauschen. Außerdem war mein Körper ja auch nur noch wenige
Weitere Kostenlose Bücher