Ploetzlich Vater
„Bitte laufen Sie hinüber und heizen den Ofen auf 180 Grad vor.“
Die Silberhaarige zog die Brauen zusammen und beugte sich zu ihrem Ofen hinunter. „Mein Ofen ist nicht von Bosch“, sagte sie. „Ist das noch gerecht?“
„Soll ich sie erwürgen oder willst du es tun?“, flüsterte Derrick Jill ins Ohr.
Sie lächelte. „Du darfst diese ehrenvolle Aufgabe gern übernehmen.“
„Alle drei Öfen“, erklärte Derrick den Frauen, „sind hochmoderne Heißluftöfen. Der Vorbesitzer dieses Hauses war Chefkoch eines Fünfsternerestaurants.“
„Ich dachte, du hast das Haus selbst entworfen?“, bemerkte Jill im Flüsterton.
„Das habe ich auch.“
Jill schüttelte den Kopf. Er hatte sich diese Geschichte offensichtlich gerade ausgedacht, doch sie sagte nichts. Das Einzige, was zählte, war, dass die Frauen jetzt mit den Geräten zufrieden waren. Alle drei warteten darauf, dass Jill ihnen weitere Anweisungen gab.
Jill schaute auf die Uhr. „In Ordnung, meine Damen. Fangen Sie mit dem Kochen an.“
Sofort klirrte und schepperte es überall, als die Frauen sich an die Arbeit machten. Alle im Raum begannen gleichzeitig zu reden. Jill sah aus dem Augenwinkel, dass ihre Mutter sie zu sich winkte.
„Mom“, sagte sie, als sie zu der Tür ging, in der ihre Mutter stand. „Komm doch in die Küche, dann kannst du die anderen kennenlernen.“
„Nicht jetzt. Dein Vater wartet im Wagen, und ich bin nur gekommen, um dir mitzuteilen, dass wir doch nicht bleiben können. Die Kanzlei deines Vaters hat angerufen, irgendein Notfall, den offenbar nur er lösen kann.“
Jill hätte nicht überrascht sein sollen. Aber insgeheim hatte sie doch gehofft, dass sie ihrer Mutter Ryan in den Arm drücken könnte, wenn sie kam, und sie plötzlich merken würde, dass es Wichtigeres im Leben gab als Modenschauen und Fünf-Sterne-Hotels.
„Ist denn das zu fassen?“, rief Derrick von der anderen Seite der Küche. „Ryan hat ja den Mund deiner Mutter.“
Ehe Jill ihn davon abhalten konnte, hatte er den Raum durchquert und ihrer Mutter Ryan in den Arm gelegt. Als sie auf ihren Enkel hinuntersah, wurden die harten Züge ihrer Mutter sofort weicher.
„Und auch die gleichen braunen Augen“, fügte Derricks Schwester hinzu. Es dauerte nicht lange, da drängten sich alle außer den Köchinnen um ihre Mutter und machten Bemerkungen über die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen Ryan und ihr.
Draußen hupte es, und ihre Mutter sah mit feuchten Augen zu Jill.
„Es ist schon in Ordnung“, sagte Jill. „Ich weiß, dass du gerne noch länger geblieben wärst, wenn ihr nicht nach Hause müsstet.“
Derrick nahm Ryan wieder an sich, und Jill begleitete ihre Mutter aus dem Haus, die Treppe hinunter und hin zur Einfahrt, wo ihr Vater ungeduldig in seinem Mietwagen saß.
Zum ersten Mal seit Jahren nahm ihre Mutter sie in die Arme und hielt sie einen Moment lang fest. Jill war überrascht, wie zerbrechlich sie sich anfühlte, und wollte ihr sagen, wie sehr sie sie liebte, und sie bitten, noch ein paar Tage oder zumindest ein paar Stunden zu bleiben, um sie im Arm zu halten und mit ihr über Babys und das Leben zu reden, doch ihr fehlten die Worte dafür.
„Komm mit uns zurück“, sagte ihr Vater durch das offene Autofenster und unterbrach damit den einzigen Moment echter emotionaler Bindung, den sie seit Jahren – oder überhaupt je – mit ihrer Mutter geteilt hatte. „Thomas hat einen Privatdetektiv angeheuert, um etwas über die Baylors herauszufinden. Wenn es dir Ernst damit ist, die Interessen deines Sohns zu schützen, dann ruf ihn an.“
„Derrick ist ein guter Mann“, sagte Jill. „Ryan ist nicht in Gefahr.“
„Thomas macht sich Sorgen um dich.“
Die schmalen, blassen Finger ihrer Mutter berührten sie am Unterarm, als würde sie sie verstehen.
„Richte ihm aus, dass es mir gut geht“, erwiderte Jill. „Und noch wichtiger, sag ihm, dass ich glücklich bin.“
Ihre Mutter streichelte ihr noch einmal den Arm und stieg dann in den Wagen.
Nachdem das Auto durch das schmiedeeiserne Tor verschwunden war, stand Jill noch einen Moment lang in der Einfahrt. Sie versuchte sich daran zu erinnern, wie ihre Mutter sie als kleines Kind in den Armen gehalten hatte, wie sie auch nur ein einziges Mal bewusst Zeit miteinander verbracht hatten, doch es gelang ihr nicht.
Eine Hand legte sich sanft auf ihre Schulter, und sie drehte sich um. Hinter ihr stand Derricks Mutter.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte Mrs
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