Ploetzlich verliebt
hätte mich jemand schockgefroren. Auf minus 300 Grad in etwa, flüssiger Stickstoff waberte durch meine Adern. Jedes Wort, das ich auszusprechen versuchte, wurde auf meinen Lippen zu klirrendem Eis und zersprang dann in Millionen Stücke. Marli und Luna wollten mir irgendwas zu verstehen geben, aber ihre Münder bewegten sich in der langsamsten Zeitlupe der Welt und ich verstand so was wie muuuuuuuaaaaaaaooooooooouuuuuuuuuh . Oder so ähnlich.
Bis Marli mir mit ihrem schweren Schnürstiefel fest auf den Fuà trat.
Da sagte ich: »Ki-no.« Hust-röchel. »Ki-no?« Uaaah! Meine ganze schöne Ich-bin-reifer-als-dreizehn-und-werd-es-dir-beweisen-Masche war dahin. Zersprungen wie Eiszapfen, die vom Dach fallen, weil ich nämlich keinen Ton rausbrachte.
»Alles okay mit dir?«, erklang eine Stimme hinter mir und die hörte sich schon wieder wie Henris an. Trennte sich etwa gerade mein Geist vom Rest meines Körpers ab und schwebte ich irgendwie über mir? Oder war es eine Halluzination? Höchstwahrscheinlich. Andererseits ⦠ich wirbelte herum.
Da stand er, sein Handy ans Ohr gepresst. »Du sagtest doch, ich soll dich anrufen. Aber wo ich jetzt schon mal hier bin â¦Â« Er steckte das Handy in die Hosentasche. »Können wir ja direkt miteinander sprechen. Tutâs weh?«
»Hm?«
»Dein FuÃ.« Er grinste.
Ach so, Marlis Schnürstiefel auf meinem Fuà hatte ich längst wieder vergessen.
Bodycheck. Haare? Frisch gewaschen, aber keine Zeit fürs Glätteisen gehabt. Also Lockengewirr. Klamotten? Graues Trägerkleid, grüne Sweatjacke, Stiefel â ganz okay. Ansonsten? Totenkopfohrringe, Ananaslipgloss. Na ja.
Marli und Luna taten so, als wären sie plötzlich in ein sehr wichtiges Gespräch vertieft, und ich strich mir lässig eine Locke aus dem Auge und lehnte mich an die Schulmauer. »Der FuÃ, ach, geht schon. Bin bloà froh, dass du nicht die Anwälte von deinem Vater mitgebracht hast, um mich das zu fragen.« Ich probierte an ihm mein strahlendstes Lächeln aus, das ich in den letzten Tagen geübt hatte.
Wieder lachte er. »Okay, ein anständiger Anime läuft zurzeit nicht, aber magst du Zombies?«
»Ich liebe Zombies.«
»Sehr gut. Wie wäre es mit Zombienight 4?«
Zombienight 1 bis 3 hatte ich bereits gesehen, ganz allein, weil Luna lebende Tote nicht ausstehen kann. »Super«, sagte ich daher.
»Heute Abend im Metro? Halb acht?«
»Super«, sagte ich schon wieder.
»Danach können wir ja noch âne Cola trinken gehen oder so.«
»Super.«
»Schön, soll ich dich abholen oder treffen wir uns dort?«
»Super«, sagte ich.
Henri hob die Augenbrauen. »Das finde ich auch, aber was jetzt â abholen oder dort treffen?«
»Ãh, wir treffen uns dort.« Ich sah ihn an, wie er so vor mir stand mit seinem blonden Lockenkopf und den schleierwolkengrauen Augen, und wollte nichts anderes, als dass er verschwand. Und zwar so schnell wie möglich. Weil ich mich nämlich immer noch nicht richtig rühren konnte und mir das Atmen schwerfiel. Aber gleichzeitig sollte er bleiben, weil ich ihm noch länger in die Augen schauen wollte â¦
»Okay«, sagte er, »bis heute Abend dann.« Lässig schlenderte er davon.
Ich atmete zitternd aus.
»Super?«, fragte mich Luna, nachdem sie und Marli aufgehört hatten, sich so gekünstelt zu unterhalten. »Echt jetzt?«
Daraufhin schwänzten wir die nächsten drei Stunden. Das konnten wir uns erstens leisten, da unsere Noten wegen Lunas Ring sowieso eins a waren und auch künftig bleiben würden. Zweitens hatten wir nur eine Doppelstunde Musik und dann Reli. Und drittens hätte es auch keinen Sinn gehabt, in der Schule zu bleiben, weil wir alle viel zu aufgeregt waren, um aufzupassen. Mir fielen auÃerdem noch vier weitere Gründe ein, aber ein Problem überschattete alles: Wie zum Henker sollte ich es anstellen, mich mit Henri im Kino zu treffen?
Abends um halb acht. Mitten in der Woche. Um einen Zombiefilm zu sehen. Ab sechzehn. Mit Henri . Mit dem drei Jahre älteren Henri. Der mit mir hinterher noch »âne Cola trinken gehen wollte oder so«. Keine Mutter dieser Welt würde das erlauben und meine erst recht nicht.
»Und wenn du ihr eine CD mit tibetischen Gesängen brennst?«, schlug Luna vor. »Vielleicht freut sie sich darüber
Weitere Kostenlose Bücher