Poirot Rechnet ab
noch ein Schatten seiner selbst. Sogar seine gewohnte Eitelkeit hatte ihn verlassen. In Kairo angekommen, waren wir sofort zum Mena House Hotel im Schatten der Pyramiden hinausgefahren.
Der Charme Ägyptens hatte mich sofort gefangen – nicht aber Poirot. Er zog sich genauso wie in London an. Wie immer trug er eine kleine Kleiderbürste in seiner Tasche und führte einen ebenso endlosen wie vergeblichen Krieg gegen den Staub. »Meine Schuhe«, klagte er. »Sehen Sie sich doch meine Schuhe an, Hastings! Wohin ist ihr Glanz und ihr Chic? Ich darf gar nicht hinsehen! Und dazu die Hitze! Sogar mein Schnurrbart wird ganz schlapp!«
»Schauen Sie sich doch die Sphinx an«, suchte ich abzulenken. »Mir ist, als spürte ich das Geheimnis und den Charme, den sie ausstrahlt.«
Poirot sah sie unzufrieden an. »Sehr glücklich sieht sie nicht aus. Wie könnte sie auch, so unordentlich in den Sand eingegraben – dieser verfluchte Sand!«
»Was haben Sie gegen Sand? In Belgien gibt es auch eine Menge«, erinnerte ich ihn, eingedenk unserer Ferien, die wir in Knokke – inmitten der sanften, herrlichen Dünen – verbracht hatten.
»In Brüssel gibt’s keinen«, entgegnete Poirot. Nachdenklich betrachtete er die Pyramide. »Es stimmt ja, ihre Form ist solide und geometrisch, aber die Oberfläche ist scheußlich uneben. Und auch die Palmen – mir können sie gestohlen bleiben. Sie sind nicht einmal in Reihen eingepflanzt.«
Ich unterbrach sein Gejammer mit dem Vorschlag, uns zum Ausgrabungsort zu begeben. Wir mussten auf Kamelen hinreiten. Ich will mich nicht lange bei der Beschreibung von Poirots Anblick auf einem Kamel aufhalten. Erst stöhnte und klagte er nur, dann stieß er schrille Schreie aus, gestikulierte wild und rief die Jungfrau Maria und alle Heiligen des Kalenders um Hilfe an. Schließlich stieg er schimpfend ab und setzte die Reise auf einem winzigen Esel fort. Leider muss ich zugeben, dass ein schaukelndes Kamel für einen Amateur kein Vergnügen ist. Ich war mehrere Tage lang wie zerschlagen. Endlich gelangten wir an den Platz der Ausgrabung. Ein sonnenverbrannter Mann mit grauem Bart und in weißen Kleidern näherte sich uns.
»Monsieur Poirot und Captain Hastings? Wir erhielten Ihr Telegramm. Entschuldigen Sie, dass Sie niemand in Kairo abgeholt hat. Unsere Pläne wurden durch ein unvorhergesehenes Ereignis völlig umgeworfen.«
Poirot wurde blass. Seine Hand, die sich zu seiner Kleiderbürste hingestohlen hatte, hielt inne.
»Doch kein weiterer Todesfall?«, stieß er hervor.
»Doch.«
»Sir Guy Willard?«, rief ich.
»Nein, Captain Hastings, mein amerikanischer Kollege, Mr Schneider.«
»Woran starb er?«, fragte Poirot.
»Tetanus.«
Wohl war mir nicht zu Mute. Alles um mich herum schien böse, drohend und unheimlich.
»Wer wird der Nächste sein?«, fragte ich mich voller Schrecken. »Ich?«
»Mon Dieu«, sagte Poirot mit leiser Stimme. »Ich begreife das nicht. Schrecklich! Sagen Sie mir, Monsieur, eine andere Todesursache ist ausgeschlossen?«
»Ich glaube schon. Aber Dr. Ames wird Ihnen darüber mehr sagen können als ich.«
»Ah, Sie sind nicht der Doktor?«
»Mein Name ist Tosswill.«
Das war also der Angestellte des Britischen Museums, von dem uns Lady Willard berichtet hatte. Er machte einen ernsten und gesetzten Eindruck.
»Wenn Sie mit mir kommen wollen«, fuhr Dr. Tosswill fort, »Sir Guy Willard erwartet Sie. Er wollte gleich von Ihrer Ankunft verständigt werden.«
Wir wurden zu einem großen Zelt geführt. Dr. Tosswill hob die Eingangsplane hoch, wir traten ein. Dr. Tosswill stellte uns drei Herren vor, die im Zelt saßen.
»Monsieur Poirot und Captain Hastings, Sir Guy.«
Der junge Mann sprang auf und kam auf uns zu. Seine impulsive Art erinnerte mich sofort an seine Mutter. Er war nicht annähernd so braun gebrannt wie die anderen; seine blasse Haut und die tief umschatteten Augen ließen ihn älter als zweiundzwanzig Jahre erscheinen. Man sah ihm an, dass er sich große Mühe gab, einen schweren seelischen Kummer zu verbergen. Er stellte seine zwei Kollegen vor, Dr. Ames, ein tüchtig aussehender Mann von ungefähr dreißig Jahren mit grauen Schläfen, und Mr Harper, der Sekretär, ein netter junger Mann, der eine Hornbrille trug.
Nach einigen Minuten allgemeiner Unterhaltung ging Mr Harper hinaus; Dr. Tosswill folgte ihm. Wir waren allein mit Sir Guy und Dr. Ames.
»Bitte fragen Sie ruhig alles, was Sie zu wissen wünschen, Monsieur Poirot«, sagte Willard. »Wir
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