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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Sie haben sich oft mit ihr unterhalten, hatten Sie den Eindruck, daß Sina depressiv war?«
    »Sind Sie depressiv?« fragte Susan zurück. »Haben Sie Selbstmordgedanken?«
    Wieder sah Arkadi sich von seiner Spur abgelenkt. Was Verhöre betraf, war er offenbar gründlich aus der Übung - er reagierte zu langsam, ließ sich zu leicht ablenken von Gegenfragen.
    »Nein, ich würde mich eher als sorgenfreien Nachtschwärmer des Lebens bezeichnen. Natürlich war ich als Parteimitglied noch weit sorgloser.«
    »Darauf möchte ich wetten.«
    »Mit einem Parteiausweis kommt man nicht so leicht in Schwierigkeiten.«
    »Ach ja? Und worin besteht der Unterschied?«
    »Nehmen Sie zum Beispiel die Schmuggelei. Ohne Parteiausweis - eine Tragödie. Mit Ausweis dagegen wird’s zur Komödie.«
    »Das müssen Sie mir erklären.«
    »Es funktioniert wie ein Drama. Nehmen wir an, der Zweite Maat wird erwischt. Dann tritt er vor die übrigen Offiziere hin und jammert: >Ich weiß nicht, was über mich gekommen ist, Genossen. Ich habe so was noch nie im Leben gemacht. Bitte, gebt mir eine Chance, mich zu rehabilitieren.««
    »Und dann?« Ihre Neugier hatte Susan aus dem Schatten ins Licht gelockt.
    Hess und Morgan unterbrachen ihre Unterhaltung und hörten ebenfalls zu.
    »Man nimmt eine Abstimmung vor«, sagte Arkadi, »mit dem Ergebnis, daß der Zweite Maat einen schweren Verweis im Führungszeugnis erhalten soll. Zwei Monate verstreichen, dann wird eine neue Versammlung anberaumt.«
    »Und?« fragte Susan.
    »Der Kapitän sagt: >Der Fehltritt unseres Zweiten Maats hat uns alle schwer enttäuscht, und es gab einen Zeitpunkt, da dachte ich, daß ich nie wieder mit ihm auf Fahrt gehen könnte, doch nun habe ich mich überzeugen können, daß er sich ehrlich um seine Rehabilitierung bemüht.««
    »Und der Parteifunktionär sagt …« soufflierte Susan.
    »Der Parteifunktionär sagt: >Er hat wieder vom klaren Quell des kommunistischen Gedankenguts getrunken. Und im Hinblick auf diese seine geistige Wiedergeburt schlage ich vor, den schweren Verweis aus seinem Führungszeugnis zu tilgen.« Was können Sie mehr an Komik erwarten?«
    »Sie sind ein Spaßvogel, Renko«, sagte Susan.
    »Er ist verbittert«, sagte Hess.
    »So endet die Geschichte«, sagte Arkadi. »Wenn Sie Parteimitglied sind. Aber wenn Sie keinen Parteiausweis haben, sondern nur ein einfacher Arbeiter sind, und man erwischt Sie beim Schmuggeln von Videokassetten oder Edelsteinen, dann müssen Sie mit fünf Jahren Arbeitslager rechnen.«
    »Erzählen Sie mir mehr von Irina«, sagte Susan. »Es klingt, als wäre sie eine interessante Person. Wo ist sie jetzt?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Irgendwo« - sie breitete die Arme aus - »da draußen?«
    »Bei manchen Menschen ist das eben so«, sagte Arkadi. »Schauen Sie, es gibt den Nordpol und den Südpol, nicht wahr? Aber daneben gibt es noch einen weiteren, den Pol des Unerreichbaren. Früher, da glaubte man, das gesamte Eis im Polarmeer drehe sich um einen einzigen Punkt, einen mythischen Pol, umgeben von trudelndem Treibeis, das unpassierbar sei. Ich glaube, dort ist Irina.« Übergangslos schloß er seine nächste Frage an: »Auf dem Fest neulich, war Sina da deprimiert?«
    »Ich habe nicht gesagt, daß ich mich an dem Abend mit ihr unterhalten hätte.«
    »Wenn Sie ihr gesagt haben, sie solle sich von den Amerikanern auf der Polar Star fernhalten, dann darf ich doch wohl annehmen, daß Sie, was die Männer von der Eagle angeht, das gleiche von ihr verlangt haben, oder?«
    »Sie sagte, sie hätte die wahre Liebe gefunden. Dagegen ist man machtlos.«
    »Was hat sie genau gesagt? Erinnern Sie sich an den Wortlaut?«
    »Sie sagte, niemand könne sie aufhalten.«
    »Falls hier von Mike die Rede ist«, mischte Morgan sich ein, »so kann ich Sie beruhigen. Die beiden haben sich bloß ein paarmal auf ihren Tanzfesten getroffen. Sonst haben sie einander nur hin und wieder zugewinkt. Außerdem waren meine Männer alle schon zurück auf unserem Schiff, als es passiert ist. Was soll also dieses Verhör?«
    »Nichts - es sei denn, Sina ist ermordet worden«, sagte Susan.
    Morgan bedachte sie mit dem sarkastischen Lächeln eines Mannes, dem es allmählich die Geduld raubt, sich dauernd mit Einfaltspinseln abgeben zu müssen. Bis auf Hess fallen wir für ihn offenbar alle in diese Kategorie, dachte Arkadi.
    »Ich hab keine Zigaretten mehr«, sagte Susan. »Unten im Hotel steht ein Automat. Dürfen Sie mich begleiten?« wandte sie sich an

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