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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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abgeht«, sinnierte Ridley, »das ist die Zivilisation. Zivilisation bedeutet Frauen, und in dem Punkt ist die Polar Star uns überlegen. Ich wette, selbst Christus, Freud und Karl Marx würden sich, wenn man sie sechs Monate lang auf so einen Kahn sperrte, über kurz oder lang genauso unflätig und primitiv gebärden wie wir.«
    »Ihr Ingenieur ist ein Philosoph«, sagte Hess zu Morgan. »Ich erinnere mich, in den fünfziger Jahren, da hatten wir vor Kamtschatka Fabrikschiffe im Einsatz, auf denen etwa siebenhundert Frauen und ein Dutzend Männer arbeiteten. Krabben säubern und konservieren. Nun durften aber die Krabben nicht mit Metall in Berührung kommen, und deshalb verwendeten wir einen besonderen Isolierungsstoff, der in den Staaten hergestellt wurde. Doch dann meldete Ihre Regierung moralische Bedenken an, und prompt wurde die Lieferung weiteren Isoliermaterials für unsere kommunistischen Konserven unterbunden. Tja, das war das Ende unserer Krabbenindustrie.«
    Arkadi erinnerte sich an Geschichten aus jener Zeit. An Bord der Schiffe war es immer wieder zu Ausschreitungen gekommen, weil Frauen über die wenigen Männer hergefallen waren und versucht hatten, sie zu vergewaltigen. Nicht sehr zivilisiert.
    »Auf das Joint-venture.« Morgan hob sein Glas.
    In der Sowjetunion war Poolbillard so gut wie unbekannt, aber Arkadi erinnerte sich daran, wie versessen die G.I. in Deutschland auf das Spiel gewesen waren. Offenbar war Mike dabei zu gewinnen, jedenfalls feuerte seine Kaugummi kauende Freundin ihn begeistert mit Kußhänden an. Ob die Aleuten, angenommen der Zar hätte Alaska nicht verkauft, heute Schach spielen würden?
    Ridley folgte Arkadis Blick. »Früher sind die Aleuten für euch Russen auf Jagd gegangen. Seeotter, Seelöwen, Walrosse, Wale. Heute haben sie nichts anderes mehr im Kopf, als ihre Docks möglichst teuer an Exxon zu vermieten. All diese Eingeborenen sind zu amerikanischen Musterkapitalisten geworden. Kein Vergleich mit uns.«
    »Meinen Sie sich und mich?«
    »Aber sicher. Es ist eine Tatsache, daß Fischer untereinander mehr gemeinsam haben als mit irgend jemandem an Land. Nehmen Sie beispielsweise die Seelöwen. Wenn Landratten einen Seelöwen sehen, dann finden sie ihn allerliebst. Wenn dagegen mir einer unterkommt, sehe ich in ihm nur den Räuber. Im Golf von Schelichow, da liegen sie auf der Lauer - richtige Banden, vierzig, fünfzig auf einem Haufen. Die kennen keine Angst, im Gegenteil, sie schwimmen einem direkt vors Netz. Teufel, jeder von diesen Burschen wiegt gut und gern seine sechs-, siebenhundert Pfund. Die reinsten Bären sind das.«
    »Seelöwen«, sagte Hess auf russisch zu Martschuk, und der rollte verständnisvoll mit den Augen.
    »Sie tun vor allem zwei Dinge«, fuhr Ridley fort. »Zunächst einmal geben sie sich nicht damit zufrieden, einen Fisch aus dem Netz zu holen und damit zu verschwinden. Nein, sie reißen jeweils bloß einen Bissen aus dem Bauch jedes Fisches, den sie zu fassen kriegen. Wenn man Lachs im Netz hat, dann heißt das fünfzig Dollar pro Biß. Und dann, wenn er das Spiel satt hat, dann schnappt sich so ein Saukerl einen letzten Fisch zum Abschied und taucht damit unter. Und jetzt kommt es. Schließlich erscheint er noch ein letztes Mal an der Oberfläche, den Fisch im Maul, und winkt einem damit zu - als wollte er sagen: >Ich scheiß auf dich, du Trottel.< Dagegen hilft nur eine schußbereite Magnum! Ich jedenfalls wüßte nichts, womit man diesen Riesenbullen sonst beikommen könnte. Oder? Was haben zum Beispiel Sie für eine Waffe, Kapitän?«
    Hess übersetzte sehr sorgfältig, was Martschuk darauf zur Antwort gab. »Offiziell sind Seelöwen geschützt.«
    »Na, ist doch genau meine Rede! Wir auf der Eagle haben ein ganzes Arsenal bereitliegen, um sie zu schützen.« Ridley nickte augenzwinkernd.
    Nach Arkadis Geschmack wechselte Ridley allzu routiniert zwischen zwei Gesichtern hin und her, spielte in einem Augenblick den bezaubernden Charmeur und im nächsten schon den brutalen Schläger. Dabei sah er die ganze Zeit aus wie ein verträumter Dichter. Der Ingenieur fixierte ihn seinerseits nicht minder prüfend. »Nach Ihrer Miene zu schließen, halten Sie’s schlichtweg für Mord«, sagte er.
    »An wem?« fragte Arkadi.
    »An den Seelöwen«, erklärte Ridley.
    Martschuk erhob sein Glas. »Ich finde, ob wir nun Amerikaner sind oder Russen, daraufkommt es nicht an. Hauptsache ist, wir sind alle Fischer und lieben unsere Arbeit. Ich trinke auf alle

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