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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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Zug und machte sich daran, die Kleider in der Wanne zu sortieren. Wenn Sina ertrunken wäre, hätte er Risse in Nase und Mund gefunden; Bauchraum und Lungen hätten sich voll Wasser gesogen, und sie müßte jetzt noch bei jeder Erschütterung des Körpers tropfen wie ein nasser Schwamm. Außerdem gab es in Wladiwostok genügend Spezialisten, denen es ein Vergnügen sein würde, sie zu tranchieren und bis auf ihre atomaren Bestandteile zu analysieren. In der Wanne lagen ein roter Plastikschuh sowjetischen Fabrikats, eine blaue Trainingshose, ein Schlüpfer, eine weiße Baumwollbluse mit einem Etikett aus Hongkong und einem Abzeichen mit der Aufschrift: »I love L. A.« Ein internationales Mädchen, diese Sina. Aus einer Hosentasche quoll blauer Pappbrei, die durchweichten Überreste einer Packung Gauloises. Außerdem fand Arkadi eine Spielkarte, die Herzdame. Eine Romantikerin, diese Sina. Und ein robustes russisches Kondom. Anscheinend war sie auch praktisch veranlagt gewesen. Er betrachtete ihr wächsernes Gesicht, die Kopfhaut, die bereits die schwarzen Wurzeln ihres blonden Haares preisgab. Das Mädchen war tot, hatte ein Leben voller Träumereien hinter sich gelassen. Autopsien hatten Arkadi schon immer wütend gemacht - auf die Opfer ebenso wie auf die Mörder. Warum jagten sich gewisse Leute nicht einfach eine Kugel durch den Kopf, sobald sie zur Welt kamen?
    Die Polar Star zog eine Schleife im Gefolge ihrer Fangboote.
    Arkadi straffte sich unbewußt. Slawa rang sichtlich nach Haltung, vermied es aber eisern, den Tisch zu berühren.
    »Was ist? Plötzlich nicht mehr seefest?« fragte Wainu.
    Der Dritte Maat funkelte ihn zornig an. »Mir geht’s bestens.«
    Wainu feixte. »Wir sollten zumindest die Eingeweide ausräumen«, sagte er zu Arkadi.
    Arkadi nahm die Kleidungsstücke aus der Wanne. Sie waren mit Fischblut besudelt und an mehreren Stellen von Fischstacheln zerrissen, aber nicht schlimmer, als man es nach einer Fahrt im Fangnetz erwarten würde. Auf einem Hosenknie war möglicherweise ein Ölfleck. Als er die Bluse glattstrich, bemerkte Arkadi vorn eine beschädigte Stelle, anders als die übrigen Risse: ein Schnitt.
    Er beugte sich wieder über die Leiche. Gliedmaßen, Brust und die Haut rings um den Nabel waren kastanienbraun verfärbt. Vielleicht waren das nicht bloß Blutergüsse; vielleicht hatte er vorschnell geurteilt, nur um rascher von dem Leichnam fortzukommen. Und tatsächlich, als er über die Bauchdecke rings um den Nabel strich, sah er ein winziges Loch, eine Stichwunde, etwa zwei Zentimeter lang. Genau wie von einem Fischmesser. Jeder auf der Polar Star hatte so ein Messer mit weißem Plastikgriff und einer zwanzig Zentimeter langen, zweischneidigen Klinge zum Ausnehmen der Fische, oder um ein Netz aufzuschlitzen. Überall auf dem Schiff warnten Anschlagtafeln: »Trefft Vorkehrungen für Notfälle. Tragt euer Messer stets bei euch.« Arkadis Messer lag in seinem Spind.
    »Lassen Sie mich das machen.« Wainu schob Arkadi mit dem Ellbogen beiseite.
    »Sie haben eine Beule gefunden und einen Kratzer«, sagte Slawa. »Na und?«
    »Es ist mehr als sich durch einen Sturz erklären ließe, selbst bei großer Fallhöhe«, erklärte Arkadi.
    Wainu taumelte vom Tisch zurück. Arkadi dachte zuerst, er habe den Schnitt wohl vergrößert, denn ein kurzes Stück Darm, purpurgrau und glitschig, ragte aus der Öffnung hervor. Doch dann sah er, daß das vermeintliche Darmende lebendig war. Durch eine blubbernde Öffnung voll Salzwasser und schimmernder Brühe kroch es beharrlich aus dem Bauch des Mädchens.
    »Ein Schleimaal!«
    Schleimaal oder Inger. Gleich unter welchem Namen, es war eine primitive, aber funktionstüchtige Lebensform. Es kam vor, daß ein Netz einen Heilbutt von zwei Meter Länge heraufbrachte, einen Prachtkerl, der gut und gern seine Vierteltonne hätte wiegen müssen, in Wahrheit aber nichts weiter war als ein Sack aus Haut und Knochen mit einem Nest von Schleimaalen darin. Äußerlich konnte der Fisch völlig unversehrt sein; die Aale bahnten sich ihren Weg durch Mund oder After und arbeiteten sich dann in die Bauchhöhle vor. Wenn ein Aal in der Fabrik auftauchte, stoben die Frauen auseinander, bis die Männer ihn mit Schaufeln totgeschlagen hatten.
    Der Kopf des Aals, ein blinder Stumpf mit fleischigen Fühlern und gespitztem Mund, peitschte gegen Sina Patiaschwilis Leib; dann, in scheinbar endlos langsamer Bewegung, glitt der ganze Aal, der die Länge eines Menschenarms hatte, aus

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