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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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die See, ein paar Möwen kreisten über einem Trawler, der nur zu erkennen war, weil die amerikanischen Schiffe so einen leuchtenden Anstrich hatten, wie Fischköder. Der Trawler war rot und weiß, die Mannschaft an Deck trug gelbe Regenmäntel. Wie ein Pendel schwang das kleinere Fahrzeug im Kielwasser der Polar Star, deren rostiger Rumpf das Fangboot um vierzig Fuß überragte. Aber die Amerikaner gingen auch jeweils nur für ein paar Wochen auf Fahrt, während die Polar Star ein halbes Jahr unterwegs war. Das amerikanische Boot lag im Wasser wie ein Spielzeug; die Polar Star war eine Welt für sich.
    »So was kommt bei Autopsien normalerweise nicht vor«, sagte Arkadi leise.
    Slawa wischte sich mit einem Taschentuch über den Mund.
    »Warum hätte jemand sie erstechen sollen, wenn sie doch schon tot war?«
    »Im Magen finden sich Bakterien. Der Einstich war sicher dazu bestimmt, die Gase entweichen zu lassen, damit sie nicht wieder an die Oberfläche kam. Ich kann für eine Weile allein weitermachen. Warum ruhen Sie sich nicht ein bißchen aus und kommen nach, wenn Sie sich besser fühlen?«
    Slawa richtete sich auf und legte sein Taschentuch zusammen.
    »Diese Untersuchung leite immer noch ich. Wir werden die Ermittlungen ganz normal fortsetzen.«
    Arkadi zuckte die Achseln. »Normalerweise sucht man nach einem Mordfall den Fundort der Leiche mit Vergrößerungsglas und Metalldetektoren ab. Sehen Sie sich um. Ist da draußen eine bestimmte Welle, die Sie gern unter die Lupe nehmen würden?«
    »Hören Sie auf, von Mord zu reden. Das ist Gerüchtemacherei.«
    »Nicht bei den Wunden, die das Mädchen hat.«
    »Die könnten auch von der Schiffsschraube stammen«, sagte Slawa.
    »Wenn ihr jemand eins damit auf den Schädel gegeben hat.«
    »Nichts deutet auf einen Kampf hin - das haben Sie selbst gesagt. Das größte Problem bei diesem Fall ist Ihre Einstellung. Aber ich werde mich nicht kompromittieren lassen.«
    »Genosse Bukowski, ich bin nur ein einfacher Arbeiter aus der Fabrik, den man für einen Tag freigestellt hat. Sie dagegen sind ein Symbol der glorreichen sowjetischen Zukunft. Wie könnte ich Sie kompromittieren?«
    »Spielen Sie mir nicht den einfachen Arbeiter vor. Wolowoi hat mich über Sie aufgeklärt. Sie haben in Moskau ‘ne Riesenschweinerei angestellt. Kapitän Martschuk war verrückt, Sie freizustellen.«
    »Warum hat er es eigentlich getan?« Arkadis Neugier war nicht gespielt.
    »Weiß ich nicht.« Slawa schien ebenso ratlos wie Arkadi.
     
    Sina Patiaschwilis Kabine unterschied sich in Größe und Aufteilung nicht von der Arkadis. Hier wie dort hausten vier Menschen in einem Quartier, das man als leidlich bequeme Kompressionskammer hätte ansehen können: vier Kojen, Tisch und Sitzbank, Schrank und Waschbecken. Und doch herrschte eine andere Atmosphäre. Statt Männerschweiß hing ein starkes Gemisch miteinander rivalisierender Parfüms in der Luft. Anstelle von Guris Pin-up-Fotos und Obidins Ikone war die Schranktür geschmückt mit Postkarten aus Kuba, albernen Glückwunschkarten vom Internationalen Frauentag, Schnappschüssen von Kindern mit dem Halstuch der jungen Pioniere und mit Zeitungsfotos von Filmstars und Musikern. Arkadi erkannte den pummeligen sowjetischen Rock-Star Stas Namin und einen finster dreinblickenden Mick Jagger.
    »Das hat Sina gehört.« Natascha Tschaikowskaia zeigte auf Jagger.
    Die übrigen Bewohnerinnen der Kabine waren »Madame« Malsewa, die älteste von Arkadis Kollegen in der Fabrik, und eine kleine Usbekin, die man zu Ehren der Elektrifizierung Usbekistans Dynama getauft hatte. Ihre Familie hatte dem unschuldigen Mädchen damit keinen Gefallen erwiesen, denn in anspruchsvolleren Kreisen der Sowjetunion versteht man unter einer »Dynama« ein kokettes Frauenzimmer, das sich erst auf Kosten eines Mannes fürstlich bewirten läßt, dann dem armen Freier weismacht, sie wolle sich nur schnell mal die Nase pudern, und auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Doch ihre Freunde zeigten Erbarmen und riefen sie Dynka. Ihre schwarzen Augen rollten ängstlich über gewaltigen Backenknochen. Ihr Haar war zu zwei Rattenschwänzen gebunden, die aussahen wie schwarze Flügel.
    Um dem traurigen Anlaß Rechnung zu tragen, hatte Natascha auf den Lippenstift verzichtet, trug aber zum Ausgleich einen großen Kamm im Haar. Hinter ihrem Rücken nannte man sie Tschaika, nach der ausladenden Limousine. Es wäre ihr ein leichtes gewesen, Stas Namin mit einer einzigen Umarmung zu ersticken;

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