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Polar Star

Polar Star

Titel: Polar Star Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz Smith
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verbrüdert«, sagte Slawa.
    »Haben Sie Sina auf der Tanzveranstaltung gesehen? Waren Sie dabei?« fragte Arkadi die Frauen.
    »Nein, Arkascha, nicht in meinem Alter.« Die Malsewa gab sich geziert. »Und außerdem wurde in der Fabrik doch noch Fisch verarbeitet, während oben das Fest stattfand, wissen Sie das nicht mehr? Natascha, warst du nicht krank an dem Abend?«
    »Ja.« Als Slawa, der Musiker, zusammenzuckte, fügte Natascha hastig hinzu: »Ich hab vielleicht mal kurz reingeschaut.« In einem Kleid, mutmaßte Arkadi.
    »Und Sie, waren Sie auf dem Fest?« wandte sich Arkadi an Dynka.
    »Ja. Aber die Amerikaner tanzen wie die Affen. Sina war die einzige, die tanzen konnte wie sie.«
    »Auch mit ihnen?« wollte Arkadi wissen.
    »Ich finde, wenn diese Amerikaner tanzen, dann hat das was gefährlich Sexuelles, direkt ungesund«, sagte Madame Malsewa.
    »Das Fest sollte die Freundschaft zwischen den Arbeitern beider Nationen fördern«, erklärte Slawa. »Was spielt es schon für eine Rolle, mit wem sie getanzt hat. Nur weil sie später in derselben Nacht einen Unfall hatte?«
    Arkadi leerte den Karton mit Sinas persönlicher Habe auf ihrer Koje aus. Den Kleidern, allesamt ausländischen Fabrikats, sah man an, wie oft sie getragen waren. Nichts in den Taschen. Kassetten von den Rolling Stones und mit Dire-Straits-Medleys, der Recorder von Sanyo. Er fand keinen Ausweis, was ihn aber nicht weiter überraschte; ihr Soldbuch und Visum lagen sicher im Schiffssafe. Im Hohlraum hinter der Koje fanden sich Lippenstifte und Parfumflaschen; wie lange würde der Duft von Sina Patiaschwili noch in der Kabine nachwirken? In ihrem Schmuckkästchen lagen eine unechte Perlenkette und ein halbes Kartenspiel, lauter Herzdamen. Außerdem ein Bündel »Pinkies«, Zehn-Rubel-Scheine, mit einem Gummiring zusammengehalten. Im Augenblick hatte er nicht die Zeit, Sinas Sachen gründlicher zu durchsuchen. Er stopfte alles zurück in den Karton.
    »Ist das alles?« fragte er. »Ihre Kassetten zum Beispiel, sind das alle?«
    Natascha rümpfte die Nase. »Ihre heißgeliebten Kassetten. Sie hat immer Kopfhörer benutzt. Wir haben von ihrer Musik nie was mitgekriegt.«
    »Was suchen Sie eigentlich?« fragte Slawa gereizt. »Ich bin es leid, immer wie ein dummer Junge daneben zu stehen.«
    »Aber ich bitte Sie! Ihnen ist doch sowieso schon klar, was passiert ist. Ich bin hier der Begriffsstutzige. Ich muß mich Schritt für Schritt an die Sache rantasten. Ich danke Ihnen«, sagte er zu den drei Frauen.
    »Das ist alles, Genossinnen«, schnarrte Slawa im Kommandoton und griff nach dem Karton. »Den nehme ich.«
    An der Tür drehte Arkadi sich noch einmal um und fragte: »Hat sie sich gut amüsiert auf dem Fest?«
    »Schon möglich«, antwortete Natascha. »Genosse Renko, vielleicht sollten Sie auch mal zum Tanzen gehen. Es wäre wünschenswert, daß die Intelligenzija Kontakt zur Arbeiterklasse findet.«
    Wie Natascha dazu kam, ihn mit diesem Etikett zu versehen, konnte Arkadi sich nicht erklären; die Fabrikstraße, in der er arbeitete, war keinesfalls eine Philosophenallee. Aber er spürte etwas Bedrohliches in Nataschas Miene, und um dem auszuweichen, fragte er Dynka: »Hatten Sie den Eindruck, daß es ihr vielleicht nicht gutging? War sie womöglich krank?«
    Dynka schüttelte so heftig den Kopf, daß ihre Rattenschwänze durch die Luft flogen. »Sie war bester Laune, als sie das Fest verließ.«
    »Um wieviel Uhr war das? Und wo ging sie hin?«
    »Nach achtern. Wie spät es da war, das kann ich nicht sagen. Aber die anderen tanzten noch.«
    »Wer hat sie begleitet?«
    »Niemand. Sie war allein. Aber sie war glücklich, wie eine Märchenprinzessin.«
    Er stand vor einem Phantasiegebilde, das weitaus blumiger war als die, welche Menschen sich normalerweise zusammenträumen. Diese Frauen glaubten allen Ernstes, sie könnten die Weltmeere besegeln und dabei all die üblichen Intrigen eines Frauenlebens weiterspinnen, so als sei es völlig undenkbar, daß jemand in die weite See hinausstürzte und einfach verschwand. Aber in den zehn Monaten, die er nun schon an Bord verbrachte, hatte Arkadi mehr und mehr das Gefühl gewonnen, daß der Ozean ein leerer Raum war, ein Vakuum, das die Menschen in jedem Augenblick verschlingen konnte. Sie täten gut daran, dachte er, in ihren Kojen zu bleiben und sich um ihr Leben zu sorgen, wenn sie einen Fuß an Deck setzen.
    Als Slawa und Arkadi aufs Oberdeck kamen, sahen sie Wainu kraftlos über der Reling

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