Polarfieber (German Edition)
teilte mit ihm das Cockpit. Jeden Schuss gab er selbst ab. Jede Granate wurde von ihm ausg e löst, jeder Abzug von ihm gedrückt . Jeder sterbende Zivilist ging auf seine Kappe.
Der Überlebensinstinkt, den der Gedanke an Vanille und Schok o lade ausgelöst hatte, fiel wieder in sich zusammen. Jeder kriegt, was er verdient. Das Gefühl in seiner linken Hand e r starb. Die Stille wurde allumfassend. Er war tot …
Verdammt nochmal, herrschte die Stimme ihn an.
Yes, Sir. Ein Spiel. Dad, der darauf bestand, dänisch mit ihm zu sprechen. Er, der als Zeichen seines rebellischen Teenager g eistes englisch antworte te . Die Ohrfeige fühlte sich so echt an wie d a mals, dabei war Dad Tausende von Meilen entfernt. In einer a n deren Welt. Er blinzelte benommen. Niemand hatte ihn geschl a gen. Es war nur ein Laut, der in ihm widerhallte wie eine Ohrfe i ge. Ein Geräusch , das die tödliche Stille durchdrang. Ein Wi m mern, das sein Blut erstarren ließ. Er war nicht allein. Ja, Sohn, jeder kriegt, was er verdient. Aber er muss es sich ve r dienen.
Kaya …
Schlagartig war er hellwach. Zwischen den Fingern seiner Li n ken hing Kayas Sonnenbrille, die Gläser zersplittert . E in Bügel hatte sich in sein Handgelenk gebohrt, Blut sprudelte hervor und erstarrte in der Kälte des ewigen Eises auf seiner Haut . D ie Tro p fen, die von seinen Fingerspitzen liefen, waren schwer und zä h fließend . Scheiße. Er griff nach dem Gurt, der in seine Leiste schnitt. Das hier war nicht Afghanistan. Das hier war das Eis Grönlands. Er selbst konnte sich gehen la s sen, es gab nichts, das ihn hielt. Aber Kaya konnte er nicht gehen lassen. Kaya musste nach Nuuk. Sie musste für die Ei s bären und die Kegelrobben und die Inuit sprechen . Verantwortung war eine Last. Er drehte den Kopf.
Die Lider in ihrem wachsbleichen Gesicht zuckten. Die rissigen Lippen waren leicht geöffnet. Inuit-Frauen, das hatte er gelernt, e r trugen klaglos Schmerzen . Sie bekamen Kinder, ohne dass man es hörte. Genetisch, hatte Marc einmal gesagt. In früheren Zeiten hä t ten die Schreie beim Kinderkriegen die Bären angelockt. De s wegen hatten sie es sich abgewöhnt, und jetzt fehlt ihnen das Gen, das Schmerzenslaute hervorrief . Faszinierend.
Kaya stöhnte. Nur leise. Ihr Gesicht verzog sich, als er ihren Gurt löste. Sie fiel nach vorn. Er fing sie auf . S eine verdre h te Schulter brannte. Er ließ ihren Körper gegen die Anzeigetafel sinken und fand selbst einen Weg hinaus. Der Helikopter war nur wenige Meter von einer schneebedeckten Felskante entfernt he r untergekommen. Beim Schleifen über das Eis waren die Roto r blätter abgebrochen. Warum war das Ding abgestürzt? Er suchte in seinen Erinneru n gen, fand aber nichts . I m Moment war es wichtiger, Kaya aus dem Coc k pit zu holen und die Ausrüstung zu s i chern . S ie brauchte n wärmere Kleidung. In der tuntigen Parade-Uniform von Air Greenland auf einem Flug in der Polarnacht. Eitelkeit war schon immer seine Schwäche gew e sen. Er musste Kaya wachkriegen. Wenn sein Körper schon so ausgekühlt war, dann war ihrer das auch. Sie warf schlie ß lich weit weniger G e wicht in die Waagschale.
Er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit seit der Bruchlandung ve r gangen war. Säm t liche Instrumente auf der Anzeigentafel waren tot. Erstarrt im Moment des Absturzes.
Absturz. Wie entwürdigend. Silas Greve, der sich für den besten Piloten hielt, der jemals einen Eurocopter geflogen hatte. Silas Gr e ve, der jeden gottverdammten Hubschrauber der Welt fliegen kon n te. Silas Greve hatte einen Cho p per zum Absturz gebracht. Vielleicht war es doch besser, im ew i gen Eis zu sterben und so der Schmach zu entgehen , wenn seine alten Kameraden davon erfuhren.
Er legte Kayas leichten Körper im Schnee ab. Mit einem unte r drückten Schrei wurde sie wach und klammerte sich im Reflex an seine Arme. Ein wenig Blut sickerte aus einem Schnitt an ihrer Wa n ge, ansonsten schien sie unverletzt. Der Chopper war auf ihre Seite gekippt , der Aufprall hatte die Tür eingedrückt . Wahrschei n lich hatte sie einen Schlag gegen den Kopf bekommen. Dass sie zu sich kam , war ein gutes Zeichen.
„ Ich hol dir was zum Warmhalten “ , sagte er so ruhig er konnte. „ Beweg dich, aber nicht zu heftig, okay? Lieg nur nicht still , sonst erfrierst du . Wenn du dich zu viel bewegst, verschwendest du Ene r gie und verlierst Wärme. Check dich durch, ob du Verle t zungen hast, die Beine, die Arme … alles, okay? Bin gleich
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