Polarfieber (German Edition)
Er wollte es aufhalten, begriff aber, dass er es nicht konnte. Das konnte nur Silas und der war nicht hier.
„Was hat er getan?“, fragte Kaya nach einer gefühlten Ewigkeit.
„Er war Pilot in der Royal Air Force in Afghanistan. Er ist Einsätze für die Marines geflogen. Very High Response.“
„Was bedeutet das?“
„Sie stehen rund um die Uhr auf Abruf. Sie müssen in Minutenschnelle von Erholungsphase in absolute Kampfbereitschaft umschalten. Silas flog Kampfhubschrauber. Diese Piloten leben am Limit.“
„Was bedeutet das?“
„Sie schalten niemals ab, sind ständig in Alarmbereitschaft. Die meisten machen das nur ein paar Monate lang, weil der Organismus das länger nicht durchhält, ohne dass man verrückt wird. Nur die Besten unter ihnen können das zwei oder drei Jahre durchziehen. Silas war siebenundzwanzig, als er freiwillig nach Afghanistan ging. Er war zweiunddreißig, als er das Land wieder verließ.“
Kayas Augen weiteten sich. Der Schock trieb ihr die Blässe aus den Wangen, ihre Haut färbte sich dunkel. Fünf Jahre, was andere vielleicht fünf Monate durchhielten. Sie begriff die Tragweite sofort. Marc sah, wie ihre Finger sich verkrampften.
„Soldaten töten Menschen“, sagte Marc vorsichtig. „Es ist ihr Job. Silas war fünf Jahre im Krieg. Ich weiß nicht, was genau passiert ist, dieser Teil der Akten ist nicht einsehbar, nicht einmal für mich. Was ich weiß, ist, dass er als Kronzeuge in einem Kriegsverbrecherprozess in Den Haag ausgesagt hat, in dem auch er selbst angeklagt war. Seine Zusammenarbeit mit den Ermittlern hat ihm die unehrenhafte Entlassung und die Aberkennung seiner Ränge erspart. Ich weiß nicht, wie tief er selbst mit dringesteckt hatte. Ein Major der Marines wurde für Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu mehrjähriger Haftstrafe verurteilt, seine militärischen Ränge wurden ihm aberkannt. Silas spielte eine nicht unwichtige Rolle dabei. Er selbst hat acht Monate im Gefängnis verbracht.“
„Er wurde entlassen?“
„Er hat seine Strafe abgesessen. Er ersuchte um Entlassung aus der Air Force, das wurde ihm gewährt.“
„Silas ist dänischer Staatsbürger.“
„Er ist auch britischer Staatsbürger. Was weißt du über seine Familie?“
Sie schnaubte ein wenig, es war, als sickere das Leben in Schüben in sie zurück. „Dass er keine hatte.“
„Er hat eine englische Mutter und einen dänischen Vater. Er spricht nicht darüber. Ich denke, da lag und liegt vieles im Argen. Es ist nicht selten, dass eine zerrüttete Familie einen Jungen der Armee in die Hände treibt.“ Er machte einen Schritt auf sie zu und legte seine Hände auf ihre Schultern. „Ich kenne Silas seit Jahren, Kaya. Er ist kein schlechter Mensch. Was immer er verbrochen haben mag, er hat seine Strafe dafür verbüßt. Nach Grönland ist er gekommen, weil er Einsamkeit gesucht hat. Stattdessen findet er dich. Ich hatte Angst um ihn, weißt du.“
„Angst?“
„Dass er sich etwas antun könnte. Weil seine Vergangenheit in der Armee für ihn vielleicht nicht durch ein paar Monate im Knast abgegolten werden kann. Womöglich glaubt er nicht, noch ein Recht darauf zu haben, hier zu sein. Aber der Absturz des verfluchten Vogels hat ihn und dich zusammengebracht. Denkst du nicht auch, dass jeder eine zweite Chance verdient hat? Silas braucht dich. Lass’ ihn nicht im Stich.“
„Ich weiß nichts über ihn. Weder wer er ist, noch was er getan hat.“
„Dann finde es heraus. Er hatte seine Chance, im Eis zu sterben, aber du warst bei ihm, und er ist nicht gestorben, sondern hat euch beide durch das Eis gebracht. Der Silas, den ich kenne, hat das getan, weil du ihm etwas bedeutest. Grönland bedeutet ihm nichts, die Werte, für die du kämpfst, sind ihm egal. Er würde dafür nicht auf den Tod, den er verdient zu haben glaubt, verzichten. Er hat deinetwegen darauf verzichtet. Er kämpfte für und um dich.“
Sie hob die Handballen an die Schläfen und kniff die Augen zusammen. „Das ist zu viel, Marc. Ich kann das nicht. Ich verstehe nicht, was du mir sagen willst.“
„Der Mann, der den Hubschrauber manipulierte, kam von Gain Energy. Ich wusste das nicht, ich kannte ihn nicht und las das erst in den Akten, als der Mann Thule schon wieder verlassen hatte. Er baute die fehlerhaften Sensoren ein, ein ziviler Techniker, der im vergangenen Sommer im Öl gearbeitet hat. Er ist für den Absturz verantwortlich. Der Anschlag galt dir, Kaya. Es tut mir leid.“
Sie schluckte und
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